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Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Titel: Ausgeliefert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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lag etwa auf gleicher Höhe wie das obere Stockwerk des Gerichtsgebäudes. Die beiden Bauten waren einander früher einmal vom Stil her ähnlich gewesen, aber dann hatte das Bezirksbüro vor vielleicht dreißig Jahren angefangen, zu verkommen. Die Tünche war abgeblättert, und man konnte darunter das graue Holz erkennen. In keinem der Fenster war mehr Glas. Die kleine Bodenerhebung, auf der es stand, war mit Gestrüpp überwuchert. Früher einmal hatte in der Mitte ein Zierbaum gestanden. Der war vor langer Zeit abgestorben und jetzt bloß noch ein Baumstumpf, vielleicht zwei Meter hoch, wie ein Pfahl, an dem man Exekutionen vornimmt.
    Nördlich davon gab es ein paar verrottete, mit Brettern vernagelte Geschäfte. Früher einmal hatte es dort hohe, prunkvolle,
aber unechte Fassaden gegeben, die den schlicht rechteckigen Gebäuden mehr Ansehen verleihen sollten. Der Zerfall der Jahre hatte dazu geführt, dass die Fassaden jetzt das gleiche stumpfe Braun zeigten wie die klobigen Holzgerüste dahinter. Die Tafeln über den Türen waren so verblasst, dass man die Aufschrift nicht mehr lesen konnte. Auf den Bürgersteigen gab es keine Leute. Kein Fahrzeuglärm, keine Aktivität, gar nichts. Eine Geisterstadt eben. Es wirkte wie eine verlassene Cowboystadt aus dem Wilden Westen.
    »Das war einmal eine Bergwerksansiedlung«, sagte Fowler. »Hauptsächlich Blei, aber auch etwas Kupfer und eine Zeit lang ein paar gute Silberadern. Hier ist einmal eine Menge Geld verdient worden, das steht fest.«
    »Und was ist dann passiert?«, wollte Reacher wissen.
    Fowler zuckte die Schultern.
    »Was passiert schon mit Bergwerksstädten?«, meinte er. »Sie werden aufgegeben, das passiert. Vor fünfzig Jahren haben die Leute in diesem alten Bezirksbüro so viele Claims registriert, als gäbe es kein Morgen, und haben sich dann in diesem alten Gerichtsgebäude darüber gestritten, und ein Stück die Straße hinauf und hinunter gab es Saloons und Banken und Läden. Und dann fingen sie an, statt Metall bloß noch Steine zu finden, und zogen weiter. Das hier ist zurückgeblieben.«
    Fowler betrachtete das trostlose Bild, und Reacher folgte seinem Blick. Dann ließ er seine Augen ein paar Grad höher wandern zu den gewaltigen Bergen, die am Horizont emporragten. Sie waren mächtig und gleichgültig und trugen immer noch Schnee, obwohl schon der dritte Juli war. Nebel hing in den Pässen und trieb zwischen den dichten Koniferen ins Tal. Fowler ging weiter, und Reacher folgte ihm einen Weg hinauf, der hinter der Ruine des Bezirksbüros steil in die Höhe führte. Die Wachen folgten dahinter in Einerreihe. Reacher wurde bewusst, dass das der Weg war, auf dem er in der Nacht zuvor zweimal gegangen war, einmal hin und einmal her. Nach hundert Metern befanden sie sich zwischen den Bäumen. Der Weg schlängelte sich durch den Wald nach oben. In dem vom Grün der Bäume gefilterten Licht kamen sie leichter voran. Nachdem sie vielleicht eine Meile gegangen waren, hatten sie
auf gerader Linie etwa eine halbe Meile zurückgelegt und kamen in der Lichtung heraus, auf die in der vergangenen Nacht der weiße Lieferwagen gefahren war. Es gab einen kleinen Wachtrupp, bewaffnet und in makellos sauberen Uniformen, die mitten auf der Lichtung in Habachthaltung dastanden. Aber von dem weißen Lieferwagen war keine Spur zu sehen. Man hatte ihn weggebracht.
    »Wir nennen das hier die Bastion«, erklärte Fowler. »Das erste Stück Gelände, das wir seinerzeit gekauft haben.«
    Im hellen Tageslicht sah alles ganz anders aus. Die Bastion war eine große, ordentliche Lichtung im Buschwerk, die sich in eine Bergsenke, vielleicht hundert Meter über der eigentlichen Ortschaft, schmiegte. Es gab keinerlei von Menschenhand geschaffene Schutzwälle. Den Schutzwall hatten vor einer Million Jahren die großen Gletscher geschaffen, die mahlend vom Pol nach Süden vorgedrungen waren. Im Norden und Westen ragten die Wände bis zu den hohen Gipfeln empor. Reacher sah wieder Schnee; Schnee, den der Wind in die nach Norden blickenden Bergschrunden getrieben hatte. Wenn hier im Juli Schnee lag, dann gab es ihn wahrscheinlich zwölf Monate im Jahr.
    Im Südosten konnte man die Ortschaft mit einiger Mühe durch die Lücken zwischen den Bäumen erkennen, wo man den Weg aus dem Felsgestein geschlagen hatte. Reacher identifizierte die Ruine des Bezirksgebäudes und das weiße Gerichtsgebäude darunter, die wie Spielzeug aussahen. Unmittelbar im Süden tauchten die Berghänge in dichten

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