Ausgeliefert: Roman (German Edition)
davon. Reacher blieb, wo er war. Beobachtete sorgfältig. Der Mann lebte noch. Also feuerte Reacher erneut. Traf ihn oben am Kopf. Humaner, ihn nicht die letzten zehn Minuten seines Lebens an einer qualvollen Brustwunde leiden zu lassen.
Das Echo des kurzen Schusswechsels verhallte in der Stille der Berge, und dann herrschte wieder Ruhe. Die anderen sieben
Männer waren nirgends zu sehen. Die LKWs kauerten alle mit der Nase nach unten auf den Felgen ihrer Vorderräder. Bewegungsunfähig. Man würde sie vielleicht aus der Senke fahren können, aber die erste Haarnadelkurve in den Bergen würde die zerfetzten Reifen von den Felgen reißen. Die LKWs waren außer Gefecht gesetzt. Daran gab es keinen Zweifel.
Reacher kroch zehn Meter rückwärts und stand dann zwischen den Bäumen auf. Eilte im Laufschritt den Abhang hinunter und nahm Kurs auf die Bastion. Siebzehn Schuss in der Glock, neun im Karabiner. Das war ein Fortschritt, hatte aber seinen Preis gefordert.
Die Hunde fanden ihn auf halbem Weg zurück. Zwei große, geschmeidige Tiere. Deutsche Schäferhunde. Er sah sie im gleichen Augenblick, in dem sie ihn entdeckten. Sie trabten mit jener ganz besonderen endlosen Energie dahin, wie sie große Hunde an den Tag legen. Lange, weite Schritte, eifriger Blick, feuchtes aufgerissenes Maul. Sie kamen plötzlich zum Stillstand und wechselten in einer einzigen fließenden Bewegung die Richtung. Dreißig Meter entfernt. Dann zwanzig. Dann zehn. Wurden schneller. Neue Energie in ihren Bewegungen. Knurren, das aus ihrer Kehle aufstieg.
Mit Menschen kannte Reacher sich aus. Hunde waren anders. Menschen hatten die Freiheit der Wahl. Wenn ein Mann oder eine Frau knurrend auf ihn zurannte, dann taten sie das, weil sie das wollten. Sie hatten sich für das entschieden, was sie bekommen würden. Seine Reaktion war ihr Problem. Aber Hunde waren anders. Kein freier Wille. Leicht verführt. Das warf ein Problem auf. Einen Hund zu erschießen, weil man ihn dazu gebracht hatte, etwas Unkluges zu tun, gehörte zu den Dingen, die Reacher nur ungern tat.
Er ließ die Glock in der Tasche stecken. Der Karabiner war besser. Er war etwa fünfundsiebzig Zentimeter länger als die Pistole. Zusätzliche fünfundsiebzig Zentimeter Abstand schienen ihm eine gute Idee. Die Hunde machten Halt. Ihr Schulterfell richtete sich auf. Ihr Rückenfell über der Wirbelsäule war gesträubt. Sie duckten sich, die Vorderbeine gespreizt,
die Köpfe gesenkt, knurrten laut. Sie hatten gelbe Zähne. Unmengen von Zähnen. Ihre Augen waren braun. Einer war ein Stück weiter vorn als der andere. Der Führer des Rudels. Er wusste, dass Hunde eine Hackordnung brauchten. Bei zwei Hunden musste einer der Vorgesetzte des anderen sein. Wie bei den Menschen. Er wusste nicht, wie Hunde das für sich festlegten. Die Art ihres Auftretens vielleicht. Vielleicht der Geruch. Vielleicht das Verhalten im Kampf. Er hatte gelegentlich Leute über Hunde reden hören. Sie hatten gesagt: Nie Angst zeigen. Dem Hund in die Augen sehen, seinem Blick nicht ausweichen. Ihn nicht merken lassen, dass man Angst hat. Reacher hatte keine Angst. Er stand da und hatte eine M-16 in der Hand. Das Einzige, was ihn beunruhigte, war, dass er sie vielleicht benutzen musste.
Er starrte den Hund stumm an, so wie er früher Soldaten angestarrt hatte, die sich etwas hatten zu Schulden kommen lassen. Ein harter, stummer Blick, wie körperliche Gewalt, wie eiskalter, beengender Druck. Düstere, kalte Augen, starr und unbewegt. Bei Menschen hatte das Dutzende Male funktioniert. Und jetzt funktionierte es bei dem vorderen Hund.
Der Hund war nur teilweise abgerichtet. Das konnte Reacher erkennen. Er beherrschte die Äußerlichkeiten. Aber er leistete nicht das, was man von ihm erwartete. Er war nicht abgerichtet worden, die Reaktion des Opfers zu ignorieren. Er war jetzt in Augenkontakt mit ihm und zog sich ein Stück zurück, als ob Reachers Blick wie ein qualvolle Last auf seiner schmalen Stirn ruhen würde. Reacher steigerte den Druck. Verengte den Blick und legte seinerseits die Zähne frei. Eine Grimasse, wie Schläger sie in schlechten Filmen zeigten. Der Hund ließ den Kopf sinken. Seine Augen drehten sich nach oben, um den Kontakt zu halten. Dann zog er den Schwanz ein.
»Sitz«, sagte Reacher. Er sagte es ganz ruhig, aber fest. Mit einem deutlichen Explosivlaut am Ende des Befehls. Der Hund bewegte sich automatisch. Zog die Hinterbeine ein und setzte sich. Der andere Hund folgte seinem Beispiel
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