Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Doch sein Arm versagte ihm den Dienst, hing hilflos herunter.
»Lockvogel«, sagte Reacher. »Die hatten gedacht, ich würde versuchen, ihn herauszuholen. Er hat mit dem Revolver in der Hand hinter der Tür gewartet. Ich wusste, dass er der Verräter ist. Aber einen Augenblick lang hatten sie mich verunsichert.«
McGrath nickte langsam. Starrte auf die Dienstwaffe, die Brogan in der Hand hielt. Erinnerte sich daran, dass man die seine konfisziert hatte. Er hob die Glock, stützte sein Handgelenk an einem Baum ab. Zielte.
»Vergessen Sie’s«, sagte Reacher.
McGrath schüttelte den Kopf, ohne den Blick von Brogan zu wenden.
»Ich werde es nicht vergessen«, sagte er leise. »Der Dreckskerl hat Holly verraten.«
»Ich hatte gemeint, dass Sie die Glock vergessen sollen«, sagte Reacher. »Das hier sind hundert Meter. Die Glock schafft das nicht annähernd. Sie könnten von Glück reden, wenn Sie von hier die verdammte Hütte damit treffen.«
McGrath ließ die Glock sinken und Reacher reichte ihm die M-16. Sah interessiert zu, wie McGrath zielte.
»Wo?«, fragte Reacher.
»Brust«, antwortete McGrath.
Reacher nickte.
»Brust ist gut«, sagte er.
McGrath stützte sich auf und feuerte. Er war gut, aber nicht wirklich gut. Die Waffe war immer noch umgeschaltet und gab drei Schuss ab. Der erste traf Brogan links oben an der Stirn, die beiden anderen gingen höher und fetzten Fragmente vom Türstock ab. Gut, aber nicht sehr gut. Aber gut genug, um den Zweck zu erfüllen. Brogan ging zu Boden wie eine Marionette, deren Fäden man abgeschnitten hat. Er sackte einfach zu Boden, unmittelbar vor der Tür. Reacher nahm McGrath die M-16 wieder weg und gab Dauerfeuer auf die Bäume am Rande der Lichtung, bis das Magazin leer geschossen war. Lud nach und reichte McGrath die Glock zurück. Bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, dass sie nach Osten durch den Wald wollten. Sie drehten sich zusammen um und wären beinahe mit Joseph Ray zusammengestoßen. Er war unbewaffnet und nur halb bekleidet. Das Blut war auf seinem Gesicht wie braune Farbe getrocknet. Er fummelte an seinen Hemdknöpfen herum. Sie steckten alle in den falschen Knopflöchern.
»Frauen und Kinder werden sterben«, sagte er.
»Sie haben alle eine Stunde, Joe«, erklärte ihm Reacher. »Sagen Sie es den anderen. Wer am Leben bleiben will, sollte in den Hügeln Schutz suchen.«
Aber der Mann schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er. »Wir sollen auf dem Exerzierplatz antreten. Das sind unsere Befehle. Wir müssen dort auf Beau warten.«
»Beau wird nicht kommen«, sagte Reacher.
Ray schüttelte erneut den Kopf.
»Doch«, sagte er. »Sie werden Beau nicht schlagen, wer auch immer Sie sind. Das geht nicht. Wir müssen auf ihn warten. Er wird uns sagen, was wir tun sollen.«
»Verschwinden Sie, Joe«, sagte Reacher. »Um Himmels willen, schaffen Sie Ihre Kinder hier raus!«
»Beau sagt, dass sie bleiben müssen«, widersprach Ray. »Entweder um die Früchte des Sieges zu genießen oder um die Folgen der Niederlage zu erdulden.«
Reacher starrte ihn verständnislos an. Rays Augen leuchteten unnatürlich. Jetzt blitzten seine Zähne in einem kurzen, trotzigen Lächeln auf. Er zog den Kopf etwas ein und rannte weg.
»Frauen und Kinder werden sterben?«, wiederholte McGrath.
»Das ist Borkens Propaganda«, sagte Reacher. »Er hat sie alle davon überzeugt, dass erzwungener Selbstmord die Strafe dafür ist, hier besiegt zu werden.«
»Und die lassen sich das gefallen?«, fragte McGrath.
»Er hat sie völlig unter Kontrolle«, erklärte Reacher. »Es ist schlimmer, als Sie sich vorstellen können.«
»Ich bin nicht daran interessiert, sie zu besiegen«, sagte McGrath. »Im Augenblick will ich bloß Holly herausholen.«
»Das ist dasselbe«, sagte Reacher.
Sie gingen stumm weiter, arbeiteten sich zwischen den Bäumen in Richtung auf die Bastion durch.
»Woher haben Sie es gewusst?«, fragte McGrath. »Das mit Brogan?«
Reacher zuckte die Schultern.
»Ich habe es einfach gespürt«, sagte er. »Wahrscheinlich war es sein Gesicht. Die schlagen die Leute gern ins Gesicht.
Das haben sie mit Ihnen gemacht. Aber Brogan zeigte keinerlei Spuren. Ich sah sein Gesicht, und da war kein Blut. Irgendwie kam mir das nicht richtig vor. Die Aufregung des Überfalls, die ganze Anspannung – sie hätten ihn mit Sicherheit ein wenig in die Mangel genommen. So wie sie das mit Ihnen gemacht haben. Aber er war ihr Mann, also haben sie ihm nichts getan.«
McGrath nickte.
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