Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Titel: Ausgeliefert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
sich um ihn kümmern. Das war ihre Pflicht. Er war ihre Bürde. Und er log. Holly war fest davon überzeugt, dass er kein Türsteher in einem Blues-Club war. Für sie war einigermaßen klar, was wirklich hinter ihm stand. Die Johnson-Familie war eine Soldatenfamilie. Wegen ihres Vaters hatte Holly ihr ganzes Leben lang, bis dann zu ihrem Eintritt in Yale, auf Militärstützpunkten gelebt. Sie kannte die Army. Sie kannte Soldaten. Sie kannte diesen Typ Mensch, und sie wusste, dass Reacher einer davon war. Für ihren geübten Blick sah er wie einer aus. Handelte wie einer, reagierte wie einer. Es war durchaus möglich, dass ein Türsteher auch Schlösser knacken und wie ein Affe an Wänden emporklettern konnte, aber wenn ein Türsteher das wirklich tat, dann würde das an ihm fremdartig wirken, und er würde mit einem Gefühl des Wagemuts und der Atemlosigkeit drangehen, das man ganz deutlich wahrnehmen könnte. Er würde nicht so tun, als ob es für ihn ganz selbstverständlich gewesen wäre, nichts anderes, als mit den Augen zu zwinkern. Reacher war ein stiller, in sich zurückgezogener Mann, gelockert, fit und ganz offensichtlich darauf trainiert, eine geradezu übermenschliche Ruhe auszustrahlen. Wahrscheinlich war er zehn Jahre älter als sie, also
noch nicht ganz vierzig, etwa einen Meter zweiundneunzig groß, breit gebaut, vielleicht hundert Kilo, blaue Augen, schütter werdendes blondes Haar. Groß genug, um Türsteher zu sein, und alt genug, um ein wenig herumgekommen zu sein, das sicherlich – aber er war Soldat. Ein Soldat, der von sich behauptete, ein Türsteher zu sein. Warum?
    Holly hatte keine Ahnung. Sie lag bloß da, fühlte sich unbehaglich und lauschte auf seinen leisen Atem, vielleicht sechs Meter von ihr entfernt. Türsteher oder Soldat, zehn Jahre älter oder nicht, es war ihre Verantwortung, ihn in Sicherheit zu bringen. Sie schlief nicht. War zu sehr mit Nachdenken beschäftigt, und außerdem schmerzte ihr Knie. Um halb neun nach ihrer Uhr hörte sie ihn aufwachen. Bloß eine ganz leichte Veränderung in seinem Atemrhythmus.
    »Guten Morgen, Reacher!«, rief sie.
    »Morgen, Holly«, sagte er. »Die kommen zurück.«
    Es herrschte Stille, aber nach ein paar Augenblicken hörte sie draußen Schritte. Klettert wie ein Affe, hat ein Gehör wie eine Fledermaus, dachte sie. Türsteher!
    »Alles in Ordnung bei Ihnen?« rief Reacher zu ihr hinüber.
    Sie gab keine Antwort. Es lag in ihrer Verantwortung, dass es ihm gut ging, nicht umgekehrt. Sie hörte ein Klappern, als die Stalltür aufgeschlossen wurde; dann rollte sie zur Seite, und Tageslicht strömte herein. Sie erhaschte einen Blick auf leeres, grünes Land. Pennsylvania vielleicht, dachte sie. Die drei Entführer traten ein, und die Tür wurde hinter ihnen wieder zugezogen.
    »Aufstehen, Schlampe«, sagte der Anführer zu ihr.
    Sie bewegte sich nicht von der Stelle. Ein übermäßiges Verlangen packte sie, nicht wieder in diesen Lieferwagen gesetzt zu werden. Zu dunkel, zu unbequem, zu anstrengend. Sie wusste nicht, ob sie einen weiteren Tag dort drinnen ertragen konnte, schwankend, hin und her gerüttelt und darüber hinaus ohne die leiseste Ahnung, wo man sie eigentlich hinbrachte oder weshalb oder wer das tat. Instinktiv packte sie das Metallgestänge und hielt sich fest, den Arm angespannt, als wollte sie sich wehren. Der Anführer stand unbewegt da und zog seine Glock heraus. Blickte auf sie hinab.
    »Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten«, sagte er. »Auf die leichte Tour oder auf die harte.«
    Sie gab keine Antwort. Saß einfach im Stroh und klammerte sich am Gestänge fest. Der hässliche Fahrer trat drei Schritte näher, grinste und starrte wieder ihre Brüste an. Sie fühlte sich nackt und von seinen Blicken abgestoßen.
    »Deine Wahl, Schlampe«, sagte der Anführer.
    Sie hörte, wie Reacher sich in seiner Box bewegte.
    »Nein, es ist Ihre Wahl!«, hörte sie ihn rufen. »Wir sollten uns hier ein wenig entgegenkommen. Kooperieren nennt man das wohl. Wenn Sie wollen, dass wir wieder in Ihren Lieferwagen steigen, dann müssen Sie schon dafür sorgen, dass es sich für uns lohnt.«
    Seine Stimme wurde bei den letzten Sätzen ganz ruhig und leise. Holly sah zu ihm hinüber. Sah ihn dasitzen, angekettet, unbewaffnet, einer geladenen Pistole gegenüber, völlig machtlos nach allen vernünftigen Definitionen dieses Wortes. Drei feindlich gesonnene Männer starrten auf ihn hinunter.
    »Wir brauchen Frühstück«, sagte Reacher. »Toast mit

Weitere Kostenlose Bücher