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Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Ausgeliefert: Roman (German Edition)

Titel: Ausgeliefert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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Schritte auf der Treppe. Ein großer Mann, der sich locker bewegte. Das Geräusch erlosch vor der Tür. Ein Klicken im Schloss. Die Tür öffnete sich. Der Auftraggeber sah zu ihm herein. Aufgedunsenes Gesicht, zwei rote Flecken von der Größe eines Fünf-Cent-Stücks hoch oben an seinen Wangen.
    »Sie sind ja immer noch hier«, sagte er.
    Der Zimmermann war wie gelähmt. Konnte sich nicht bewegen, brachte keinen Ton heraus.
    »Sie haben es nicht geschafft«, sagte der Auftraggeber.
    In dem Raum herrschte Stille. Das einzige Geräusch, das man hören konnte, war das leise Ticken im Gebälk, während die Morgensonne über das Dach zog.
    »Was machen wir denn jetzt?«, fragte der Auftraggeber.
    Der Zimmermann starrte ihn bloß ausdruckslos an. Bewegte sich nicht. Dann lächelte der Auftraggeber, ein lockeres, freundliches Lächeln. So als ob er sich gerade über irgendetwas wundern würde.
    »Denken Sie, dass ich es ernst gemeint habe?«, fragte er mit sanfter Stimme.
    Der Zimmermann riss die Augen auf. Schüttelte den Kopf, ganz leicht, voller Hoffnung.
    »Hören Sie etwas?«, fragte ihn der Auftraggeber.
    Der Zimmermann spitzte die Ohren. Er konnte das Ticken im Holz hören, den Gesang der Vögel und das leise Geräusch der sonnigen Morgenluft.
    »Sie haben bloß rumgealbert?«, fragte er.
    Seine Stimme war ein trockenes Krächzen. Erleichterung und Hoffnung und Angst lähmten seine Zunge fast.
    »Hören Sie«, sagte der Auftraggeber.
    Der Zimmermann lauschte. Das Gebälk tickte, die Vögel sangen, die warme Luft seufzte. Sonst hörte er nichts. Schweigen. Dann hörte er ein Klicken. Und dann ein Pfeifen. Es fing langsam und leise an und stabilisierte sich dann zu einem vertrauten Summen. Ein Geräusch, das er kannte. Das Geräusch einer großen Motorsäge, die hochgefahren wurde.
    »Denken Sie jetzt, dass ich es ernst gemeint habe?«, schrie der Auftraggeber.

11
    Holly Johnson war ein wenig enttäuscht gewesen, dass Reacher den Wert ihrer Garderobe so eingeschätzt hatte. Seiner Meinung nach besaß sie ungefährt fünfzehn oder zwanzig Outfits zu jeweils vierhundert Dollar, insgesamt also vielleicht acht Riesen. In Wirklichkeit hingen in ihrem Kleiderschrank vierunddreißig Kostüme. Sie hatte drei Jahre an der Wall Street gearbeitet. Allein der Wert ihrer Schuhe kam an acht Riesen heran. Vierhundert Dollar war der Betrag, den sie für eine Bluse auszugeben pflegte, und auch das nur, wenn ihr gesunder Menschenverstand sie zur Sparsamkeit drängte.
    Sie mochte Armani und besaß dreizehn Frühjahrskostüme von ihm. Frühjahrskleidung aus Mailand war für den größten Teil des Chicagoer Sommers gerade richtig. Wenn es dann im August wirklich brütend heiß wurde, würde sie ihre Moschino-Kleider herausholen, aber im Juni und Juli, und im September auch, wenn sie Glück hatte, waren die Armani-Kostüme gerade recht. Am liebsten mochte sie die in den dunklen, pfirsichfarbenen Tönen, die sie in dem letzten Jahr, das sie in der Maklerfirma tätig gewesen war, gekauft hatte. Irgendeine geheimnisvolle italienische Seidenmischung. Von Menschen zugeschnitten und geschneidert, deren Vorfahren seit Hunderten von Jahren den Umgang mit feinen Materialien gewöhnt waren. Sie brauchten den Stoff bloß anzusehen, kurz nachzudenken und ihn zuzuschneiden, und schon fiel er geradezu wunderbar weich. Dann brachten sie das Teil auf den Markt, und eine Aktienmaklerin von der Wall Street kaufte es, war begeistert davon und trug es auch zwei Jahre später noch als frischgebackener Special Agent beim FBI.
Dann wird sie in Chicago auf offener Straße entführt. Und jetzt trägt sie es immer noch, achtzehn Stunden später, nach einer schlaflosen Nacht auf dem schmutzigen Stroh eines Kuhstalls. Zu dem Zeitpunkt ist das Outfit freilich schon lange nicht mehr etwas, was Armani wieder erkennen würde.
    Die drei Entführer waren mit dem Lieferwagen zurückgekehrt und damit rückwärts auf die betonierte Fläche in der Mitte des Kuhstalls gefahren. Dann hatten sie die Stalltür abgesperrt und waren verschwunden. Holly vermutete, dass sie die Nacht im Farmhaus verbracht hatten. Reacher hatte ganz ruhig, an das Gestänge gekettet, in seiner Box geschlafen, während sie sich im Stroh herumgewälzt und immer wieder umgedreht hatte, schlaflos und besorgt über ihn nachdenkend. Seine Sicherheit lag in ihrer Verantwortung. Er war ein harmloser Passant, der in ihren Einsatz hineingeraten war. Was ihr auch immer sonst noch bevorstehen mochte, sie musste

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