Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Milosevic den Hörer aufgelegt, da klingelte das Telefon erneut – die Feuerwehr von Chicago. Ein Einsatzfahrzeug war gerufen worden, weil die Sicht auf der landseitigen Einflugschneise des Meigs Field Airport durch eine Rauchwolke von einem Fahrzeugbrand behindert wurde. Das Einsatzfahrzeug war kurz vor ein Uhr mittags am Montag auf einem verlassenen Industriegelände eingetroffen und hatte dort einen brennenden schwarzen Lexus vorgefunden. Sie hatten angenommen, dass alles Brennbare inzwischen in Flammen aufgegangen war und dass nicht mehr viel Rauch zu erwarten sei; deshalb hatten sie sich ihren Schaum gespart und den Wagen einfach ausbrennen lassen. Milosevic notierte sich die Brandstelle und legte auf. Dann suchte er McGraths Büro auf, um sich weitere Anweisungen geben zu lassen.
»Nachschauen«, entschied McGrath.
Milosevic nickte. Er war immer gern im Außendienst unterwegs. Das war für ihn eine Gelegenheit, seinen nagelneuen Ford Explorer zu fahren, der ihm viel lieber war als die klapprigen Limousinen des Büros. Und das Büro hatte dagegen nichts einzuwenden, weil er sich nie die Mühe machte, Benzinrechnungen einzureichen. Also fuhr er mit dem auf Hochglanz polierten Geländewagen etwa fünf Meilen in südlicher Richtung und fand das Wrack des Lexus ohne irgendwelche
Probleme. Das Fahrzeugwrack stand schräg auf einer verlassenen, ziemlich ramponierten Betonfläche hinter einem alten Gewerbebau. Die Reifen waren verbrannt, so dass der Wagen auf den Felgen stand. Die Nummernschilder waren noch zu entziffern: DENT 1. Er stocherte in der noch warmen Asche im Wageninneren herum, zog das unversehrte Metallteil des verbrannten Schlüssels aus der Zündung und klappte den Kofferraumdeckel auf. Dann taumelte er ein paar Schritte zurück und übergab sich auf die Betonfläche. Er spuckte und würgte und spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Hastig holte er sein Handy aus der Tasche und stellte eine Verbindung zu McGrath im FBI-Gebäude her.
»Ich habe den Zahnarzt gefunden«, sagte er.
»Wo?«, fragte McGrath.
»Im Kofferraum«, sagte Milosevic. »Langsam gebraten. Sieht so aus, als ob er noch am Leben gewesen wäre, als das Feuer anfing.«
»Du lieber Gott«, sagte McGrath. »Eine Verbindung zu unserem Fall?«
»Das steht für mich fest«, antwortete Milosevic.
»Sind Sie da sicher?«
»Ganz sicher.« Milosevic nickte. »Ich habe noch anderes Zeug gefunden. Verkohlt, aber es ist doch ziemlich eindeutig. Eine 38er neben etwas, das wie die Überreste einer Metallschließe aussieht, könnte von der Handtasche einer Frau stammen. Münzen und das Röhrchen von einem Lippenstift und die Metallteile von einem Handy und einem Pager. Und auf dem Boden liegen neun Kleiderbügel. So wie man sie in der chemischen Reinigung bekommt.«
»Du liebe Güte«, sagte McGrath noch einmal. »Folgerungen?«
»Die haben den Lexus in Wilmette gestohlen«, sagte Milosevic. »Vielleicht hat der Zahnarzt sie dabei gestört. Also ist er auf sie losgegangen, und sie haben ihn überwältigt und in den Kofferraum gesteckt. Und ihn dann mit dem restlichen Beweismaterial verbrannt.«
»Scheiße«, sagte McGrath. »Aber wo ist Holly? Folgerungen dazu?«
»Man hat sie zum Meigs Field gebracht«, sagte Milosevic. »Das ist etwa eine halbe Meile von hier entfernt. Dort hat man sie in eine Privatmaschine verfrachtet. So haben die es gemacht, Mack. Die haben sie irgendwo hingeflogen. Vier Männer, die dazu fähig sind, einen Mann lebend zu verbrennen; und jetzt haben die Kerle sie irgendwo ganz allein, und das könnte inzwischen eine Million Meilen von hier entfernt sein.«
15
Der weiße Lieferwagen dröhnte eine Stunde lang stetig dahin, vielleicht weitere sechzig Meilen. Die Uhr in Reachers Kopf tickte von elf bis zwölf Uhr Mittag. In ihm bauten sich jetzt die ersten schwachen Andeutungen von Besorgnis auf. Sie waren jetzt seit einem Tag unterwegs. Fast volle vierundzwanzig Stunden. Von der ersten Phase in die Mittelphase. Kein Fortschritt. Und er fühlte sich unbehaglich. In dem Lieferwagen war es schier unerträglich heiß – heißer konnte Luft überhaupt nicht werden. Sie lagen ausgestreckt auf der Matratze, die Köpfe dicht nebeneinander. Die Roßhaarfüllung machte ihnen zusätzlich warm. Hollys dunkles Haar war feucht und lag ausgebreitet um ihren Kopf. An ihrer linken Seite berührte es Reachers nackte Schulter.
»Ist es, weil ich eine Frau bin?«, fragte sie. Angespannt. »Oder vielleicht, weil ich jünger bin als
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