Ausgelöscht
sie.
»Ich fühle mich wie neugeboren.«
Sie betrat die Suite und wandte sich zu ihm um.
Er schloss die Tür und hielt ihr sein Tagebuch hin, aufgeschlagen auf der Seite mit ihrem aus Zahlen, Buchstaben und mathematischen Symbolen zusammengesetzten Porträt.
»Was ist das?«, fragte sie lächelnd. Sie nahm das Tagebuch.
»Vortek«, verkündete er.
Sie sah ihn fragend an.
»Wann immer ich in einer Sackgasse steckte, habe ich an dich gedacht. Ich habe mir dein Gesicht vorgestellt.« Er streckte die Hand aus und berührte zärtlich ihre Wange. »Das funktionierte, jedes Mal. Als es also an der Zeit war, den letzten Schritt zu machen und die vollständige Lösung niederzuschreiben, habe ich beschlossen, es mit dem Gedanken an dich zu tun. Und dann folgte alles andere wie eine Reihe von umfallenden Dominosteinen.« Er deutete mit einem Nicken auf die Zeichnung. »Man muss nur die Kurven begradigen und die Zeilen trennen, und man hat neunundzwanzig Gleichungen, die Blaupause dafür, um unbemerkt jeden Radar zu durchfliegen – wie ein Gespenst.«
»Du hast es geschafft«, staunte sie.
»Wir haben es geschafft.«
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf.
»Das hier war eine Gemeinschaftsleistung.«
Ihre Miene wurde abermals besorgt.
»Was ist?«, fragte er. »Jetzt steht uns nichts mehr im Wege.«
Sie ließ sich von seinen Armen umfangen, vergrub ihr Gesicht in seiner Nackenbeuge. »Ich liebe dich«, flüsterte sie. »Ich bin stolz auf dich. Aber es hätte uns von Anfang an nichts im Wege stehen dürfen.«
20
Mike Coady holte Kyle Snow im Haus an der Brattle Street ab und lieferte ihn bei Clevenger auf dem Polizeipräsidium ab. Kyle kam freiwillig mit, zweifelsohne, um einem weiteren Drogentest zu entgehen, der ihn nur wieder wegen Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen in den Knast hätte wandern lassen.
Clevenger und er saßen einander gegenüber, diesmal in demselben Vernehmungszimmer, in dem Clevenger mit George Reese kollidiert war. Coady sah hinter dem Einwegspiegel zu.
»Erzähl mir von der Pistole deines Dad«, sagte Clevenger.
»Was soll damit sein?«
Clevenger schwieg. Er bemerkte, dass Kyles Pupillen auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft waren, obgleich es im Vernehmungszimmer schummrig war. Er war high, wahrscheinlich von Percocet oder Oxycontin.
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte Kyle. »Ich weiß nichts über …«
»Er hat sie in seinem Kleiderschrank aufbewahrt, stimmt’s? Auf dem obersten Bord im Hemdenregal.«
Kyle zuckte mit den Achseln.
»Ich kann verstehen, was passiert ist, Kyle. Er hat dich zum ersten Mal in deinem Leben beachtet, und dann hat er sich wieder zurückgezogen. Er hatte die alten Wunden wieder aufgerissen. Sehr tiefe Wunden.«
»Wie ich schon gesagt habe, er konnte mir nicht wehtun. Ich habe nie etwas von ihm erwartet.«
»Niemand betäubt sich mit Opiaten, wenn er sich nicht wund und leer im Innern fühlt. Und du hast eine Chance gesehen, dich von diesem Schmerz zu befreien. Du konntest nicht widerstehen. Nicht mit deinen sechzehn Jahren.«
Kyle strich sich sein schwarzes Haar aus der Stirn und beugte sich zu Clevenger vor. »Sie wissen einen Scheißdreck über mich.«
»Also hast du dir seine Pistole genommen – aus seinem Kleiderschrank.«
»Wer sagt das?«
»Du hast gesagt, du hättest sie ihm an dem Abend, bevor er erschossen wurde, zurückgegeben.« Clevenger beobachtete Kyles Gesicht, sah, wie sich seine Züge anspannten. »Aber das hast du nicht getan.«
»Hat meine Schwester Ihnen das erzählt?«
»Es spielt keine Rolle.«
Kyle sah jetzt sehr wütend aus. »Dieses Miststück.«
»An der Waffe waren keine Fingerabdrücke deines Dad«, fuhr Clevenger fort. »Wenn du sie ihm zurückgegeben hättest und er sich selbst erschossen hätte, wären welche da gewesen. Jemand hat die Waffe abgewischt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dein Dad das getan haben soll.« Er hob leicht die Stimme. »Warum hätte dein Vater seine eigene Pistole abwischen sollen, bevor er sich selbst damit erschoss?«
Kyles Kiefer fingen an zu mahlen.
»Wir wissen, dass du der Letzte warst, der die Pistole deines Vaters hatte. Wir wissen, dass du an dem Morgen, an dem er erschossen wurde, um die Ecke vom Mass General warst. Wir wissen, dass du ihn gehasst hast. Es passt alles zusammen. Deshalb hat deine Mutter nein gesagt, als ich mit dir sprechen wollte.«
»Ich habe ihn nicht ermordet«, sagte Kyle, und Tränen schossen ihm in die Augen.
»Ach nein?«,
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