Ausgelöscht
angeheuert worden war, um Snows Mörder zu finden. Über ein Dutzend Reporter hatten in der Praxis angerufen. Auf dem Parkplatz wimmelte es von Kamerateams. Moffett war so mit dem ganzen Durcheinander beschäftigt, dass es bis zum Ende des Gesprächs dauerte, bis sie Clevenger sagte, dass Lindsey Snow zwanzig Minuten zuvor vorbeigekommen war.
»Hat sie gesagt, was sie wollte?«, fragte Clevenger.
»Nein. Aber sie hat gesagt, dass es
nichts Dringendes
wäre. Sie hat nicht geweint, und sie war auch nicht durcheinander oder so.«
Nach Grace Baxters Anrufen war Kim besonders vorsichtig, was Clevengers Gewissensbisse, seinerzeit nicht rechtzeitig reagiert zu haben, nur noch verschlimmerte. »Hat sie eine Nummer hinterlassen?«
»Ihr Handy. 617-555-8131.«
»Ich werde sie anrufen.«
»Soll ich Ihnen was Komisches sagen?«, fragte Kim.
Clevenger hatte gelernt, sich nicht von Kims Jugend, ihren blonden Locken oder ihrer lieblichen Stimme täuschen zu lassen; sie hatte einen ausgesprochen klugen Kopf auf ihren Schultern. »Schießen Sie los.«
»Sie hat mit mir geredet, als würden wir uns kennen. Und sie hat über Sie gesprochen, als ob es ganz normal wäre, dass sie einfach bei Ihnen vorbeischneit. So als würde sie das tagtäglich machen. Sie ist so was wie meine neue beste Freundin aus der Instanttüte. Nur Wasser hinzufügen und umrühren. Ich meine, lebt die Frau in irgendeiner Fantasiewelt?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Clevenger. »In was für einer Welt sie auch immer lebt, halten Sie Abstand.«
»Schon klar.«
»Sonst noch was?«
»North ist nicht hier, aber er hat mir aufgetragen, Sie daran zu erinnern, dass Sie ihn anrufen wollten, sobald Ihr Treffen vorbei ist, was es jetzt ja wohl ist, da Sie mit mir sprechen.«
»Wird gemacht.«
Clevenger rief bei Anderson durch und gab ihm einen kurzen Abriss seines Treffens mit Coroway. Sie entschieden, dass Anderson während der Nachtschicht zum MGH gehen und ein Bild von Coroway, das er sich aus dem Internet besorgt hatte, herumzeigen sollte. Es könnte der Mühe wert sein zu überprüfen, ob sich irgendeiner der Angestellten erinnerte, Coroway im Foyer oder in der Cafeteria oder im Parkhaus gesehen zu haben – oder in der Nähe der Gasse, in der man Snow gefunden hatte.
Als Nächstes rief er Lindsey Snow an.
»Hallo?«, meldete sie sich.
»Dr. Clevenger hier«, sagte er.
»He, sind Sie in Ihrer Praxis?«
Ihr Ton war unangemessen familiär. »Nein«, antwortete Clevenger. »Wie ich höre, sind Sie dort vorbeigekommen.«
»Wann werden Sie wieder dort sein? Kann ich hinkommen?«
Clevenger sah auf seine Armbanduhr. 5 Uhr 10. Wenn er den Sechs-Uhr-Pendlerflug zurück nach Boston erwischte, konnte er um 20 Uhr im Büro sein. Billy würde erst um einiges später aus dem OP heimkommen. Clevenger war sich bewusst, dass er Theresa Snow hinterging, wenn er allein mit ihrer achtzehnjährigen Tochter sprach, aber bei einer Mordermittlung war das durchaus zulässig. Und er konnte wahrscheinlich arrangieren, dass Kim länger blieb, damit ein Dritter zugegen war. »Sicher«, sagte er. »Warum kommen Sie nicht um acht vorbei?«
»Es geht mir ziemlich mies«, gestand Lindsey, und ihre Stimme nahm unvermittelt einen verzweifelten Tonfall an. »Ich fühle mich so leer.«
»Sie haben Ihren Vater verloren.«
»Ich habe alles verloren.«
Sie klang, als wäre sie dem Zusammenbruch nahe. »Lindsey, wenn Sie jetzt gleich mit jemandem reden möchten«, erklärte er ihr, »es ist keine Schande, in die Notaufnahme zu gehen. Ich kann Sie im Cambridge Hospital treffen.«
»Mit den meisten Leuten kann ich nicht reden.«
»Können Sie mir versprechen, dass Sie über die nächsten zwei Stunden zurechtkommen werden?«
»Ich komme schon zurecht«, hauchte sie.
Clevenger hatte das Gefühl, er befinde sich in einer Wiederholung seiner Begegnung mit Grace Baxter, bitte abermals um einen
Contract for Safety
, als ob das irgendeine Garantie wäre. Aber ihm war auch klar, dass Lindsey nichts gesagt hatte, was gerechtfertigt hätte, dass die Polizei sie gegen ihren Willen ins Krankenhaus einlieferte. »Sind Sie sicher?«, fragte er.
»Sie machen sich Sorgen um mich«, schluchzte sie leise. Offenkundig hatte sie angefangen zu weinen. »Das ist so lieb.« Sie räusperte sich. »Das brauchen Sie nicht. Ich bringe
andere
Leute um, wissen Sie das nicht mehr?«
»Lindsey …wo sind Sie?«
»Ich sehe Sie dann um acht.« Sie legte auf.
Clevenger wählte abermals ihre Nummer, doch es
Weitere Kostenlose Bücher