Ausgelöscht
geschossen.
Das war das Einzige, was Coroway nicht zu wissen schien. »Nicht einmal eine Vermutung?«
»Das ist Ihre Aufgabe.«
»Deshalb frage ich ja.«
Coroway stand auf und stellte sich ans Fenster. »Vielleicht tragen wir alle Mitschuld daran.«
Diese Beichte erinnerte vage an Lindsey Snows seltsames Geständnis. »Wie das?«
»Wir alle brauchten John in unserem Leben – aus den verschiedensten Gründen«, sagte Coroway, und seine Stimme klang jetzt sanfter, weniger selbstsicher. »Grace, Theresa, Johns Kinder. Ich. Vielleicht haben wir alle Blut an unseren Händen.«
Clevenger wollte Coroway ein wenig mehr unter Druck setzen. »Erzählen Sie mir von dem Blut an Ihren«, forderte er ihn auf.
Er drehte sich wieder zu Clevenger um. Sein Gesicht war blass. »Ich habe Lindsey von Grace Baxter erzählt.«
Im Geiste sah Clevenger die kalten, leeren Augen des Mädchens. »Sie haben ihr erzählt, dass ihr Vater eine Affäre hatte?«
»Ich bin nicht stolz darauf.«
»Aber warum haben Sie dann …«
»Sie kann sehr überzeugend sein«, sagte Coroway. »Sie war in Tränen aufgelöst, wollte wissen, was sich zwischen ihr und ihrem Vater verändert hätte. Sie war der einzige Mensch in seinem Leben gewesen, dem er die gleiche Aufmerksamkeit wie seiner Arbeit gewidmet hatte. Er vergötterte sie. Urplötzlich musste sie ihn mit jemandem teilen.«
»Mit Grace.«
»Mit Grace. Mit Kyle – ihrem Bruder. Mit Heller. Mit den gesamten verflixten Vereinigten Staaten, wenn man es genau bedenkt. Ihr Vater war plötzlich prominent. Es war schwer, ihr Leid untätig mit anzusehen.« Er schüttelte den Kopf. Er sah aus, als wäre er ehrlich angewidert von seinem Handeln. »Grace hatte bei Snow zu Hause angerufen, um die Lieferung eines Ölgemäldes aus der Galerie zu arrangieren. Lindsey fand, sie hätte irgendwie seltsam geklungen. Also hat sie mich gefragt, ob da irgendwas zwischen den beiden liefe. Ich habe es ihr gesagt.«
»Sie hätten lügen können.«
»Ich hätte es tun sollen.«
»Warum haben Sie es nicht getan?«
»Weil Grace Baxter nicht gut für ihn war«, erklärte er ohne Zögern. Die Antwort schien ihn nicht zu befriedigen, ebenso wenig, wie sie Clevenger befriedigte. »Ich wollte ihn wiederhaben. Es klingt kindisch, ich weiß. Ich habe mir Sorgen wegen des Unternehmens gemacht. Und er hat mir als Freund gefehlt.«
»Wollen Sie mir sagen, dass Sie denken, Lindsey hätte ihren Vater umgebracht?«
»John hatte sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen. Drei Frauen waren ihm verfallen.«
»Theresa, Grace und Lindsey.«
»Was Theresa betrifft, sie war einzig an seinem Verstand interessiert. Ich glaube nicht, dass sie sich sonderlich darum scherte, was er mit dem Rest seiner Anatomie machte. Grace schien vor allem selbstzerstörerisch zu sein, mit ihren Drohungen, sich die Kehle durchzuschneiden, und all dem.«
Sich die Kehle durchzuschneiden
. Die Worte taten Clevenger beim zweiten Mal nicht weniger weh. »Womit Lindsey übrig bleibt«, brachte er mühsam heraus.
Ein geistesabwesender Blick trat in Coroways Augen. »Sie war so wütend«, sagte er. »Ich wusste es in dem Moment, als ich es ihr erzählte … ich wusste, dass sie nie darüber hinwegkommen würde.«
»Sie ist zusammengebrochen.«
»Nein, das ist sie nicht. Das war es ja, was mich so beunruhigt hat. Sie wurde einfach nur still. Sehr still.« Er sah wieder Clevenger an. »Dann sagte sie etwas, das ich nicht verstanden habe.«
»Was war das?«
»Sie sagte, ich hätte keine Ahnung, wie sehr Kyle seinen Vater hasste.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht begriffen, wieso sie plötzlich diesen Sprung machte, wie sie von sich auf ihren Bruder kam. Aber ich glaube, jetzt weiß ich es.«
11
Am Ende ihres Treffens bot Coroway an, Clevenger einen Wagen zu rufen, doch Clevenger gab vor, dass er nur ein paar Blocks entfernt mit einem alten Freund zu einem frühen Abendessen verabredet sei. Er hatte nicht vor, sich in eine völlig anonyme Limousine zu setzen, die von einem Mann bestellt worden war, der Manschettenknöpfe in der Form von Düsenjägern trug und dessen Geschäftspartner in einer dunklen Gasse erschossen worden war. Er ging drei Blocks zu Fuß, dann hielt er ein Taxi an, stieg ein und wies den Fahrer an, ihn zurück zum Reagan-National-Flughafen zu bringen.
Der erste Anruf, den er während der Fahrt machte, ging an seine Sekretärin Kim Moffett. Die Presse hatte Wind davon bekommen, dass Clevenger von der Bostoner Polizei
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