Ausgelöscht
an den Schreibtisch und berührte die leere Stelle, wo der Computer gestanden hatte. Er öffnete die Schubladen. Alle Disketten waren konfisziert worden, selbst die neuen, noch eingeschweißten. Er zog die Aktenlade auf, sah, dass Unterlagen herausgenommen und wahllos wieder zurückgesteckt worden waren; diese Akten hatten sie ebenfalls durchforstet.
Er hörte den Anrufbeantworter ab, dann rief er bei Kim Moffett durch. Nichts Dringendes.
Er holte sich John Snows Tagebuch und etwas Eis für seine Lippe und setzte sich auf die Couch. Er schlug die Zeichnung von Grace Baxter auf – ihr Gesicht als eine Collage aus Zahlen, Buchstaben und arithmetischen Symbolen. Er betrachtete das Bild eingehend, sinnierte dabei, wie tief Grace Snows Verstand infiltriert hatte, wie sehr ihre Energie mit seiner Kreativität verflochten war. Erstaunlich, dachte er bei sich, dass ein Mensch einen anderen so tief in sich eindringen lassen konnte. Und ebenso erstaunlich, dass Snow entschieden hatte, sich aus dieser Umarmung zu befreien, selbst nachdem Grace in ihrem Abschiedsbrief klar und deutlich gesagt hatte, dass sie allein möglicherweise nicht überleben würde, dass sie sie beide als untrennbare Einheit betrachtete.
Ein paar Minuten später klopfte es an der Lofttür.
Clevenger stand auf und ging zur Tür. »Wer ist da?«, rief er.
»Jet«, antwortete J. T. Heller.
Clevenger machte die Tür auf.
Heller, in Jeans, einem schwarzen Rollkragenpullover und den schwarzen Cowboystiefeln aus Krokodilleder, klammerte sich am Türrahmen fest, um sich aufrecht zu halten. Er war kreidebleich und stank nach Scotch. »Wie geht es ihm?«, fragte er.
»Gut, schätze ich. Warum?«
»Er ist aus dem OP verschwunden, bevor ich mit ihm reden konnte.«
»Er ist einfach verschwunden?«
Heller nickte. »Es war bereits eine aussichtslose Sache, aber …«
»Was war eine aussichtslose Sache?«
»Das Mädchen. Es war einfach nichts von der Arterie übrig. Das Gewebe war wie Seidenpapier, auf einer Fläche von gut einem Quadratzentimeter. Ich hab versucht, sie zu retten, das Mädchen zu retten, aber …« Er schloss die Augen.
»Ist sie gestorben?«
Er öffnete die Augen und sah Clevenger ins Gesicht. »Verdammte neun Jahre alt.«
»Tut mir Leid. Ich habe nicht … Billy hat mir nichts davon gesagt.« Er legte die Hand auf Hellers Schulter. »Kommen Sie herein.«
Heller rührte sich nicht von der Stelle. »Vielleicht, wenn ich es vom Gaumen aus versucht hätte – von unten hoch.« Er sah jetzt durch Clevenger hindurch auf etwas, das jenseits von ihnen beiden lag. »Ich bin von oben gekommen.« Er berührte den Schädel. »Durch den Sinus sagittalis. Das ist sinnvoll, wenn man abklammert, aber es macht es sehr schwer, ein Implantat einzusetzen. Verstehen Sie?«
»Kommen Sie herein«, wiederholte Clevenger.
Heller ließ den Türrahmen los und schwankte leicht.
Clevenger packte ihn und führte ihn hinein.
Sie setzten sich in die gegenüberliegenden Ecken der Couch.
»Billy ist in seinem Zimmer«, sagte Clevenger. »Ich glaube, er schläft.«
»Verstehen Sie, ich hatte eine Chance«, sagte Heller leise. »Gott war heute dort im OP an meiner Seite. Ich konnte Ihn fühlen. Ich denke,
ich
habe es vermasselt.«
»Haben Sie mir nicht gesagt, dass wir auch nur Menschen sind? Ich bin kein Neurochirurg, aber ich erinnere mich noch an genug aus dem Medizinstudium, um zu wissen, dass ein Aneurysma an der Basilararterie gemeinhin nicht heilbar ist, egal, wer das Skalpell führt.«
»Ich habe mir meinen Ruf nicht mit dem verdient, was ›gemeinhin‹ passiert«, entgegnete Heller. »Ebenso wenig wie Sie.« Er vergrub das Gesicht in seiner Hand, massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Schläfen. »Ich musste ihrer Mutter und ihrem Vater die Nachricht überbringen. Sie erwarteten gute Neuigkeiten. Es stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Ich kam früher als geplant aus dem OP. Sie dachten, es wäre besser als erwartet gelaufen.«
»Wie haben sie reagiert, als Sie es ihnen gesagt haben?«
Heller sah ihn an. »Wie sie reagiert haben? Sie sind mit ihr gestorben. So ist das eben. Möglicherweise wissen sie es noch nicht. Aber bald werden sie es wissen. Sie werden es wissen, sobald die Totenwache vorbei ist, und die Beerdigung, wenn alle nach Hause gegangen sind und sie einander anschauen und sehen, dass ihr Leben keinen Inhalt mehr hat.«
Aus unerklärlichem Grunde ging Clevenger flüchtig Grace Baxter durch den Sinn – ihre Überzeugung, dass sie
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