Ausgeloescht
aufzusuchen, macht alles plötzlich ein bisschen zu wirklich für mich.
Mit der Frage scheint die Ärztin gut fertig zu werden. »Meine Eltern waren begeisterte Wanderer und Camper. Wie es heißt, wurde ich in einem Zelt auf dem Mount Whitney gezeugt, der zur Sierra Nevada gehört.«
»Sierra. Ein hübscher Name.«
»Danke. Meine Eltern hatten gerade ihre Hippiephase hinter sich, als ich geboren wurde. Ich hätte also auch >America< oder >Freedom< heißen können. Deshalb beschwere ich mich nicht.« Sie lächelt. »Nun, was kann ich für Sie tun, Mrs. Barrett?«
Sie hat das Geplänkel abgewürgt, und das bringt mich beinahe aus der Fassung.
Jetzt ist es so weit.
»Ich bin schwanger.«
Sie lächelt nicht, noch gratuliert sie mir. Sie runzelt auch nicht die Stirn. Ihr Gesichtsausdruck ist eine Studie an Unverbindlichkeit, für die man einen Doktortitel bekommen würde. »Woher wissen Sie das?«
»Das Übliche. Vor etwas über zwei Monaten hat meine Periode ausgesetzt, und meine Brüste wurden empfindlich, also habe ich mir einen Schwangerschaftstest gekauft, und er war positiv. Zur Bestätigung habe ich noch einen Bluttest gemacht.«
Sie sieht in meine Akte. »Auf Ihrem Eingangsformular schreiben Sie, dass Sie schon eine Tochter haben.«
»Ja.«
»Und ist sie gesund?« »Sie war gesund.«
Sie runzelt die Stirn und legt die Patientenakte wieder in den Schoß. »War?« »Sie wurde von dem Mann ermordet, der das hier mit meinem Gesicht angestellt hat.«
Nun sehe ich den Ausdruck des Erkennens, den ich schon so oft gesehen habe. Meine Geschichte war in allen Zeitungen und in den Fernsehnachrichten. Doch statt große Augen zu machen oder - was ich noch mehr hasse - »nach den der Situation angemessenen Worten« zu suchen, schüttelt sie den Kopf. »Tut mir leid, Mrs. Barrett. Ich habe nicht zwei plus zwei zusammengezählt.«
»Schon gut. Und nennen Sie mich Smoky, Dr. Rand.«
»Smoky.« Wieder das Lächeln. Ihr Lächeln ist nett. »Sie dürfen mich gerne Sierra nennen, aber wahrscheinlich wäre es besser, wenn Sie mich weiter mit Dr. Rand anreden. Studien haben gezeigt, dass Patienten ihren Ärzten eher trauen, wenn sie das Kostüm anbehalten. Ohne den weißen Kittel glaubt mir niemand, dass ich Ärztin bin.«
Ich öffne meine Jacke ein wenig und lasse sie meine Pistole sehen. »Bei mir ist es ähnlich. Ich kann meine Dienstmarke so oft zeigen, wie ich will - wenn ich unbewaffnet bin, glauben die Leute mir einfach nicht, dass ich eine echte FBI-Agentin bin.«
»Ich nehme an, Sie hatten schon früher einen Gynäkologen. Darf ich fragen, weshalb Sie meine Kollegin - oder Kollegen - nicht erneut konsultieren?«
»Aberglaube, nehme ich an. Die Tochter, die er zur Welt brachte, ist tot. Ich möchte nicht, dass er irgendetwas mit diesem Baby zu tun hat.« Ich senke den Blick, ein wenig verlegen, und womöglich schäme ich mich auch ein bisschen. »Ich weiß, das ist unfair, und ich gebe ihm wirklich keine Schuld an ihrem Tod, aber...«
»Sie möchten in jeder Hinsicht einen Neuanfang.«
Ich blicke sie erstaunt an. »Stimmt.«
Sie lächelt beruhigend. »Daran ist nichts Verkehrtes, Smoky. Stress kann eine werdende Mutter am wenigsten gebrauchen. Da ist es natürlich sinnvoll, wenn Ihr Arzt keine Belastung für Sie darstellt, aus welchem Grund auch immer.«
»Danke.«
»Nun zurück zu Ihrer Tochter. War sie gesund? Gab es Komplikationen während der Schwangerschaft oder bei der Entbindung?«
»Nein, bei Alexa war alles einfach. Ich hatte kaum morgendliche Übelkeit und nur vier Stunden Wehen. Sie war ein gesundes Baby und ein gesundes Kind. Als sie sechs Monate alt war, hat sie mal hohes Fieber bekommen, und sie hat sich den Unterarm gebrochen, als sie von einem Klettergerüst fiel. Davon abgesehen ging es ihr immer gut.«
»Und bei Ihnen? Haben Sie seitdem irgendwelche gesundheitlichen Probleme entwickelt?«
Ich atme tief durch und sage ihr etwas, das nur eine Handvoll Menschen weiß. »Nicht lange nach meiner Vergewaltigung hatte ich eine Abtreibung.«
Sie nimmt auch das ohne sichtliche Regung auf und sieht nicht einmal von meiner Patientenakte hoch. »Irgendwelche Komplikationen dabei? Eine Infektion, stärkere Blutungen als üblich?«
»Nein.«
»Sind Sie regelmäßig zu Ihrem Frauenarzt gegangen?« »Jährlicher Pap-Test.«
»Ausgezeichnet.« Sie schaut mir nun direkt in die Augen. »Gab es körperliche Komplikationen durch den Angriff auf Sie? Irgendetwas, von dem ich wissen sollte?«
»Nur die
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