Ausgeloescht
Narben sind geblieben. Äußerlich und innerlich.«
»Okay. Hier steht, dass Sie keine Medikamente nehmen, aber ich frage trotzdem lieber nach, denn einige Patientinnen betrachten so etwas als Privatsache. Nehmen Sie Antidepressiva?«
»Nein. Ich habe daran gedacht, aber ich nehme keine.«
»Was ist mit Empfängnisverhütung?«
»Wir haben den Vaginalschwamm benutzt. Empfehlen kann ich das jetzt wohl nicht mehr.«
»Also nehmen Sie nicht die Pille?« »Nein.«
»Gab es Krankheiten in Ihrer Familie?«
»Meine Mutter und mein Vater sind beide an Krebs gestorben.«
»Fehlgeburten? Komplizierte Entbindungen? Erbkrankheiten?«
»Ich habe von einer Großtante gehört, die einen Sohn mit Wolfsrachen geboren hat. Davon abgesehen nicht.«
Sie macht sich Notizen und legt die Patientenakte beiseite.
»Sie scheinen mir eine Kandidatin für eine gesunde Entbindung zu sein, Smoky. Sie sind gut in Form, haben ein gutes Gewicht, keine Probleme mit dem Blutdruck oder dem Herzen, Sie rauchen nicht, und Ihre erste Geburt verlief ohne Eklampsie, Diabetes oder Gerinnungsproblemen.« Sie lächelt. »Es besteht also kein Grund, bei dieser Schwangerschaft mit Komplikationen zu rechnen. Wegen Ihres Alters werden wir alles zwar sehr genau im Auge behalten, aber ich mache mir keine Sorgen.«
»Welche Risiken entstehen durch mein Alter?«
»Je älter die Mutter ist, desto größer ist das Risiko einer Genommutation. Die Statistiken werden noch diskutiert. Im schlimmsten Fall, von dem ich weiß, stellt es sich so dar: Bei einer Frau im Alter von fünfundzwanzig Jahren besteht eine Wahrscheinlichkeit von grob eins zu eintausendzweihundertfünfzig, ein Baby mit Down-Syndrom zu bekommen. Mit dreißig steigt die Wahrscheinlichkeit auf eins zu tausend. Für eine Vierzigjährige ist sie eins zu hundert, und über fünfundvierzig steigt sie auf eins zu dreißig.« »Meine Güte.«
»Ich sage Ihnen das ganz offen. Andererseits sollten Sie nicht vergessen, dass fünfundsiebzig Prozent aller Kinder mit Trisomie 21 von Müttern unter fünfunddreißig geboren werden. Wenn Sie möchten, mache ich eine Blutuntersuchung, bei der wir nach Markern suchen, wie sie bei einem Kind mit Down-Syndrom auftreten.«
»Okay. Wann?«
»Das hängt ganz von Ihnen ab. Der Test ist zwischen der sechzehnten und der achtzehnten Woche am genausten, aber es besteht kein Grund, so lange zu warten. Die Befunde von Untersuchungen innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate sind fünfundneunzig Prozent zutreffend.«
»Also habe ich genug Zeit, um darüber zu entscheiden, ob ich das Kind behalten will, wenn es am Down-Syndrom leidet.« Ich seufze. »Toll.«
Sie streckt die Hand aus und berührt mich kurz am Arm. »Smoky, für Sie besteht kein Grund anzunehmen, dass Ihr Baby nicht gesund ist. Ich habe schon etliche gesunde Kinder von Frauen über vierzig entbunden.«
»Aber einige waren nicht gesund, stimmt's?«
»Leider. Aber jedes dieser wenigen Frauen war untersucht worden und wusste, dass sie ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen würde. Es war ihre eigene Entscheidung, und sie waren mit ihrem Kind nicht weniger glücklich als eine Frau mit gesundem Baby.«
»Wirklich?«
»Denken Sie ...« Sie zögert. »Denken Sie an Ihre Tochter. Hätten Sie es bereut, sie auf die Welt gebracht zu haben, wenn sie einen Geburtsfehler wie das Down-Syndrom gehabt hätte?«
Die Frage soll mich nicht bestürzen, aber sie tut es. Ich denke über sie nach, über Alexa, meine süße Kleine. Wäre sie noch immer sie selbst gewesen, wenn sie mit einer Behinderung auf die Welt gekommen wäre? Ich schließe für einen Moment die Augen, und ihr Gesicht steht vor mir, wie ich es an jenem letzten Morgen gesehen habe. Ich sehe ihr Lächeln, höre ihr Lachen und sehe in ihren Augen schimmern, was ihr ganzes Wesen ausgemacht hat.
Ja. Alexa wäre immer Alexa gewesen, in welcher Gestalt auch immer.
Ich öffne die Augen wieder. »Nein, ich hätte es nicht bereut«, sage ich zu der Ärztin. »Sie wäre mein Kind gewesen, und ich hätte sie nicht weniger lieb gehabt.«
»Na, sehen Sie.«
Ich habe eine Frau vor mir, die ihren Beruf nicht gewählt hat, weil sie damit am meisten Geld verdienen oder dem Druck anderer medizinischer Fachgebiete ausweichen konnte, sondern weil er ihre Berufung war. Sie liebt, was sie tut, und es ist ihre Bestimmung, neues Leben auf die Welt zu bringen.
Ich denke an Douglas Hollister, der seinen eigenen Sohn erdrosselt hat, und nie ist mir ein Mensch, der
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