Ausgeloescht
und ein Loch zum Scheißen.« Der große, schwere Mann blickte den Jungen durchdringend an.
Der Junge hatte nie wirklich Angst vor seinem Vater gehabt. Bei all den brutalen und schmerzhaften Lektionen hatte er nie bezweifelt, dass der Mann, der ihm das Leben geschenkt hatte, es auch bewahren würde. Bis jetzt. Diesmal aber war es anders, und der Junge hielt den Atem an und die Zunge im Zaum und wartete, gebannt vom Blick zweier Augen, die so hell brannten wie sterbende Sterne.
»Warum will ich einen Dollar?«, sagte der Vater. »Weil Geld die Grundlage von allem ist. Das Leben will einen Dollar, Sohn. Es will ihn jeden Tag, von heute an, bis du unter die Erde kommst. Wenn du nicht zahlen kannst, dann kannst du auch nicht essen. Wenn du nicht essen kannst, kannst du nicht leben. So einfach ist das. Verstehst du, was ich meine?« »Ja, Sir.«
»Ich bin mir da nicht so sicher, aber wir werden ja sehen. Das ist eine Prüfung. Ich gebe dir ein paar Versuche. Aber wenn du nicht bald einen Dollar anschleppst, schlag ich dich zu Brei.«
Nach einer schier endlosen Minute wandte der Vater sich ab. Er sah durch das Fenster zum Mond hinauf, und es schien beinahe so, als würde er mit ihm in ein stummes Zwiegespräch verfallen.
»Es gibt keinen Gott, Junge«, sagte er irgendwann. »Es gibt auch keine Seele. Es gibt nur Blut, Fleisch und Knochen. Du wurdest nicht von einer höheren Macht auf diese Erde gestellt. Du bist hier, weil ich mein Ding in deine Mutter gesteckt habe und dein Fleisch in ihr gewachsen ist. Dieses Fleisch muss gefüttert werden, und dazu brauchst du Dollars, und das ist alles, was wir sind und was wir immer sein werden.«
Der große Mann stand auf und ging ohne ein weiteres Wort. Der Junge lag auf dem Bett, betrachtete den Mond und dachte darüber nach, was sein Vater ihm gesagt hatte. Er stellte die Lehren seines Vaters nicht infrage, niemals, und nahm ihm die Schmerzen nicht übel. Das war seit langer Zeit vorbei. Der Junge erinnerte sich, dass er früher wütend und traurig gewesen war, doch inzwischen kam es ihm eher wie ein Traum vor, nicht wie eine echte Erinnerung. Diese Schwäche hatte sein Vater ihm mit den Fäusten ausgetrieben, so wie ein Hammer die Beulen aus einem Blech treibt. Sein Vater war sein Gott, und sein Gott lehrte ihn, wie man überlebte.
Er brauchte einen Dollar. Wenn er keinen Dollar anschleppte, würde er sterben. Das war alles, was zählte; nur darauf konzentrierte er sich.
Als er einschlief, hatte er einen Plan.
Der Junge war gerade in die fünfte Klasse gekommen. Sein Vater betrachtete die Schule als etwas Notwendiges.
»Du brauchst Wissen, um das Fleisch zu füttern, Sohn«, sagte er, »und die Schule kostet nichts. Nur ein Schwachkopf würde dieses Angebot ablehnen.«
Nun saß der Junge in seiner Klasse und wartete, dass die Schulglocke klingelte. Er hatte keine Freunde und wollte auch keine. Andere Menschen waren Gegner. Am besten, man blieb für sich, und daran hielt er sich.
Der Junge beobachtete Martin O'Brian, den Schulrowdy, maß ihn mit kritischem Blick. O'Brian war groß und ein brutaler Schläger. Er hatte ausdruckslose braune Augen und dünne braune Haare, die immer so aussahen, als wären sie ihm zu Hause geschnitten worden. Er trug ausgelatschte Schuhe, und seine Jeans hatten Löcher an den Knien. Manchmal kam er mit einem blauen Auge zur Schule oder zuckte bei jedem Schritt zusammen. Das waren dann immer schreckliche Tage für die Schwachen, denn an solchen Tagen war Martin O'Brian wie ein Raubtier.
Er wurde von allen gefürchtet, sogar von den älteren Sechstklässlern, denn er war gnadenlos. Man konnte nie sicher sein, wie weit er gehen würde. Darin lag das Geheimnis seiner Macht. Groß und kräftig waren viele, aber deshalb waren sie noch lange nicht furchterregend.
Martin O'Brian jedoch legte eine Art von Brutalität an den Tag, die Eltern einem Zehnjährigen gar nicht zutrauten (oder, wie im Fall von O'Brians Eltern, lieber ignorierten, da sie den Ursprung dieser Gewalttätigkeit bei sich selbst vermuteten). Von besiegten, schluchzenden Gegnern verlangte er, dass sie die eigene Mutter eine Hure nannten. Gehorchte man nicht, schlug und trat er weiter zu. Einem seiner Gegner hatte er sogar den Arm gebrochen.
Und was war die Folge? O'Brian wurde von den Lehrern getadelt, musste nachsitzen oder wurde vorübergehend vom Unterricht ausgeschlossen, mehr aber auch nicht. Das bedeutete, dass er sich weiter austoben konnte wie ein Elefant unter
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