Ausgeloescht
ein Gedanke mich niemals los: Wenn Dali mich nicht freigelassen hätte, wäre ich noch immer dort.
Im Dunkeln.
Eine Woche nachdem man mich aufgefunden hatte, verlasse ich das Krankenhaus. Die Ärzte raten mir zwar davon ab, sind aber nicht allzu beharrlich. Ich habe den Eindruck, dass ihre Bedenken nicht so sehr medizinischer Art sind, sondern dass sie sich absichern wollen. Ich bin eine prominente schwangere FBI-Agentin, die ein Opfer von Entführung und Verstümmelung geworden ist. Wahrscheinlich befürchten die Ärzte, gelyncht zu werden, wenn mit mir etwas schiefgeht.
»Bist du dir sicher?«, fragt Tommy, nachdem er mir in den Wagen geholfen hat. Bonnie sitzt hinten, wachsam und still.
»Ich muss endlich wieder etwas tun, Tommy, sonst drehe ich durch. Fahr mich nach Hause, und dann bring mich ins Büro.«
Leo ist der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich habe ihn gestern besucht. Er lag auf seinem Bett und starrte ins Nichts. Ernährt wurde er über einen Schlauch. Diverse automatisierte Peinlichkeiten kümmerten sich um seine Körperfunktionen. Ich habe seine Freundin kennengelernt.
»Hallo«, sagte sie zu mir. »Ich bin Christa.«
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, aber ich wusste, was sie brauchte. Ich schloss sie in die Arme.
Sie ließ mich eine Zeit lang mit Leo allein. Ich starrte auf ihn, erdrückt von Taubheit und Selbsthass und dem Gefühl, schmutzig zu sein - ein Gefühl, das ich einfach nicht abschütteln konnte. »Es tut mir so leid, Leo«, sagte ich. Mehr fiel mir nicht ein. Was sollte ich auch sagen? Ich hatte ihn für mich und mein Kind geopfert, und er würde es nie erfahren. Wahrscheinlich war er in dem Glauben gewesen, ich wäre eine Freundin, der er vertrauen könne, als Dali ihn ins ewige Vergessen schickte.
Ich beugte mich vor und küsste ihn auf die Stirn. Sie war warm und trocken, als wäre sie aus lebendigem Papier. »Ich werde ihn finden, Leo, und ich werde ihn töten. Das verspreche ich dir.«
Als ich das Krankenzimmer verließ, dachte ich an das andere Versprechen, das Leo mir abgerungen hatte.
Mein eigenes Zuhause kommt mir surreal vor. Die Zelle ist mir noch immer greifbarer als meine eigenen vier Wände, und das erneuert meinen Hass.
»Möchtest du Kaffee?«, fragt Bonnie. Sie beobachtet mich. Ich kenne dieses Verhaltensmuster aus der Zeit, nachdem Sands mich überfallen hatte. Bonnie macht sich Sorgen, ich könnte vor ihren Augen schlappmachen. Und wer weiß, vielleicht passiert das noch.
»Kaffee wäre großartig, Schatz. Ich habe einen Monat lang keinen Kaffee getrunken.«
Bonnie verschwindet in der Küche. Tommy steht wieder am Fenster und starrt auf irgendetwas, das ich nicht sehen kann. Ich wünschte, ich könnte zu ihm durchdringen. Seine Distanz ist keineswegs kühl, und ich spüre seine Liebe, doch ein Teil von ihm ist woanders.
»Hast du das Ibuprofen bekommen, Tommy?«
Schlagartig findet er ins Hier und Jetzt zurück und ist ein wenig verärgert. »Ja ... tut mir leid. Ich habe es heute Morgen geholt. Ich bin sofort wieder da.« Er eilt die Treppe hinauf.
»Hier ist der Kaffee, Smoky«, sagt Bonnie und bringt ihn mir. Ich nehme die Tasse und nippe daran. »Himmlisch«, sage ich. Und das ist er wirklich.
Tommy kehrt mit einer Flasche Advil zurück. Die Ärzte haben mir Percocet angeboten, aber ich habe das stärkere Schmerzmittel wegen des Babys abgelehnt. Ich möchte nicht einmal Ibuprofen nehmen, aber die Schmerzen sind zu hartnäckig.
»Wie viele?«, fragt Tommy.
»Zwei.«
Er öffnet die Flasche und gibt mir die Tabletten. »Möchtest du Wasser?« »Danke, ich nehme den Kaffee.«
Ich spüle die Tabletten mit Kaffee herunter. Sie werden nicht viel helfen, aber das ist in Ordnung. Ein bisschen Schmerz ist mir durchaus willkommen. Er hilft mir, mein Ziel im Auge zu behalten.
Dali zu töten.
»Hat du Hunger?«, fragt Tommy.
»Nein, ich habe im Krankenhaus gegessen. Die alten Witze über das Krankenhausessen gehören immer mehr ins Reich der Legende. Ich habe ein paar gute Mahlzeiten bekommen.«
Er nickt, sagt aber nichts, sondern blickt wieder zur Seite. Die Distanz zwischen uns wird größer. Ich stehe auf, die Kaffeetasse in der Hand.
»Komm mit mir nach oben, Tommy. Hilf mir, mich anzuziehen.«
»Also, was ist los?«, frage ich ihn, nachdem die Tür zu ist. »Was meinst du?«
Ich trete zu ihm. Er nimmt mich in die Arme und drückt mich fest an sich, achtet aber auf meinen verletzten Finger. Ich
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