Ausgeloescht
rücke ein Stück von ihm weg und schaue zu ihm hoch. »Du bist hier, aber gleichzeitig bist du woanders.«
Er tritt vorsichtig zurück und versucht, meinem Blick auszuweichen, ehe ich den Widerstreit in seinen Augen entdecke.
»Ich ...« Er runzelt die Stirn. »Ich bin es nicht gewöhnt, dass mir die Worte fehlen.«
Ich setze mich aufs Bett und klopfe auf die Stelle neben mir. Tommy kommt meiner Aufforderung nach und setzt sich. Ich betrachte ihn von der Seite, während er an die Wand starrt.
»Ich versuche herauszufinden, wie ich meine Wut loswerde, Smoky«, sagt er. »Wahrscheinlich gibt es nur eine Lösung. Ich muss den Mann töten, der dich mir weggenommen hat ... mir und Bonnie. Aber das belastet mich.« Er schüttelt den Kopf. »Ich bin nicht wie Kirby. Wenn ich diese Grenze überschreite, könnte es Folgen für mich haben. Das will mir einfach nicht aus dem Kopf«
Ich ergreife seine Hand. »Geht mir genauso. Aber ich mache mir deswegen keine Gewissensbisse.«
Er schaut mich an, als sähe er mich zum ersten Mal. »Wieso nicht? Wie kommt das?«
»Weil vor ein paar Jahren ein Mann in mein Haus kam und mir mein Leben und mein Gesicht geraubt hat. Kurze Zeit später hätte ein anderer Mann beinahe Callie ermordet, und er nahm Bonnie als Geisel, während er zusah, wie ich mir auf seine Anweisungen hin das Gesicht zerschnitt.« Ich umklammere seine Hand. »Aber weißt du, was mich trotz allem nachts schlafen lässt? Was mir ein bisschen Trost spendet?« »Nein.«
»Dass diese beiden Männer tot sind. Dass ich selbst sie getötet habe. Das ist von nun an die Strafe, Tommy. Wer sich an meiner Familie vergreift, muss sterben.« »Auch wenn es Mord bedeutet?« »Auch dann.«
Mich beschleicht der Gedanke, dass unsere Wege sich hier und jetzt trennen könnten. Diese moralische Bürde könnte für Tommy zu schwer sein. Und er ist nicht der Mann, der von seinen Prinzipien abrückt.
Er hebt meine Hand an die Lippen und küsst sie. »Damit kann ich leben.«
Was er dann tut, hätte ich als Letztes erwartet: Er weint. Die Tränen, die auf meine Haut tropfen, sind ein lautloser Ausdruck seines Kummers. Ich bin wie versteinert. Mir ist, als wäre ich Zeuge von etwas Unnatürlichem, das nicht sein soll, nicht sein darf, wie eine schwarze Sonne am Himmel oder ein Kind mit einem Messer in den Händen und einem Grinsen im Gesicht.
Es ist so schnell vorüber, wie es begann. Er küsst wieder meine Hand, reibt sich das Gesicht und steht auf.
Dann hilft er mir beim Anziehen, wo ich Hilfe brauche. Er holt meine Ersatzpistole aus dem Waffentresor. Zum Schluss reicht er mir mein Handy.
»Dali hat es bei dir gelassen, zusammen mit deiner FBI-Dienstmarke. Die Techniker haben es überprüft. Es ist sauber.«
»Danke.«
Ich betrachte mich im Spiegel und verziehe vor Abscheu das Gesicht. »Was bin ich hässlich!«
Tommy steht hinter mir und bedeckt meinen kahlen Schädel mit seinen schwieligen, aber liebevollen Händen. Dann küsst er mich auf den Scheitel. »Du lebst. Das Haar wächst wieder. Und du bist niemals hässlich.« Er tritt zurück und schaut auf die Uhr. »Wir sollten machen, dass wir wegkommen. Ich warte unten auf dich.«
Ich bleibe allein mit meinem Spiegelbild. Tommys Worte sind unzureichend, zugleich aber mehr, als ich brauche. Meine Bestürzung kommt aus dem Bauch; sie wird stets meine erste Empfindung sein, bis mein Haar nachwächst. Aber dann werde ich daran denken, was Tommy gesagt hat, und seine Worte werden mir Trost schenken, so wie die Tränen, die er um mich geweint hat und über die wir nie wieder reden werden, wie ich weiß. Sie waren ein Geschenk, das ich in Ehren halten werde - und für das ich töten würde.
Kapitel 36
»Schnuckelchen!« »Boss-Lady!« »Smoky!«
Nur James schweigt, doch sein Blick haftet länger als gewöhnlich auf mir. Vermutlich ist das seine Art, mich willkommen zu heißen.
Alan trägt den Arm in einer Schlinge. Dali ist gütig zu ihm gewesen, nur zwei Kugeln: eine in die Schulter, die andere oben in die Brust. Das bringt mich zu der Frage, wieso er gütig zu Alan war, aber nicht zu mir. Warum? Er wusste, dass Alans Wunden nicht tödlich waren. Wieso hat er mich gequält, indem er die Frage offenließ, ob Alan daran gestorben war?
»Ich bin mir ja nicht sicher, ob dir dieser übertrieben breite Mittelscheitel steht, Boss«, sagt Kirby und beäugt mich kritisch. »Zu viel Fischbauchweiß.«
»Kirby«, ermahnt Callie sie. Es ist kaum zu glauben, aber Callie hindert
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