Ausgeloescht
mit Hauptsitz in Washington, D.C., doch in jedem FBI-Büro gibt es einen örtlichen Repräsentanten des NCVAC. In Los Angeles mache ich diesen Job jetzt seit über zwölf Jahren. Ich leite ein vierköpfiges Team (mich eingerechnet), das immer dann gerufen wird, wenn die schlimmste Drecksarbeit getan werden muss - die Aufklärung von Morden, Verstümmelungen, Vergewaltigungen, Folterungen und dergleichen. Es sind Verbrechen, die meist auf das Konto von Psychopathen gehen. Die Täter, die wir jagen, handeln selten im Affekt. Ihre Taten sind keine Absonderlichkeiten eines Augenblicks, sondern die Befreiung von irgendeinem krankhaften Trieb. Die meisten morden aus Lustgewinn, geilen sich auf am Leid und Tod anderer.
Ich verbringe mein Leben damit, in die Dunkelheit zu schauen, in der diese Bestien hausen. Es ist eine kalte Schwärze, angefüllt mit Wimmern und huschenden Schatten, mit schrillem Gelächter, gellenden Schreien und dumpfem Stöhnen. Ich habe einige der Ungeheuer getötet, die in dieser Finsternis lauern, und wurde von anderen gejagt - in furchtbaren Träumen, aber auch in der Wirklichkeit, die manchmal schlimmer sein kann als der schrecklichste Alptraum. Doch ich habe mir dieses Leben selbst ausgesucht, also darf ich mich nicht beklagen.
Es kommt selten vor, dass ich zum Himmel schaue und die Schönheit der Sterne bewundere. Meist sind sie für mich stumme und gleichgültige Beobachter jener Welt, in der wir leben und sterben, wobei mich selbst eher das Sterben beschäftigt, weil mein Job das mit sich bringt.
Hier auf Hawaii habe ich mir endlich mal die Zeit genommen, die Sterne in Ruhe zu betrachten. Jede Nacht habe ich das Gesicht dem Himmel zugekehrt und mir von den Sternen sagen lassen, dass ihre Schönheit schon viel länger besteht als der Mensch und die Abscheulichkeiten, die er zu begehen imstande ist.
Ich schließe für einen Moment die Augen und lausche. Das Rauschen der Brandung hört sich an wie der unaufhörliche Atem eines Riesen. Oder wie der Herzschlag Gottes. Doch Gott und ich, wir haben so unsere Probleme miteinander. Obwohl wir uns inzwischen näher sind als noch vor ein paar Jahren, wechseln wir kaum ein Wort.
Etwas Gewaltiges, Ewiges schiebt die Wellen vor sich her auf den Sandstrand, im Takt mit dem Metronom der Welt. Das Meer ist unermesslich, so rein an Klang und Farbe, dass es kein Zufall sein kann. Ich bin mir nicht sicher, ob es uns wahrnimmt, aber vielleicht hält es die Welt für immer in Gang, während wir unsere nichtigen Entscheidungen treffen.
Ich mache die Augen auf und rücke von Tommy weg, ganz langsam und so leise ich kann. Ich will auf den Balkon, ohne Tommy zu wecken. Die Laken streichen sanft über meine Haut, und meine Füße berühren den Teppichboden. Der Mond leuchtet ins Zimmer, deshalb ist der Bademantel (den ich mitgehen lassen will, wenn wir abreisen) nicht schwer zu finden. Ich ziehe ihn über, binde ihn aber nicht zu. Ich werfe noch einen Blick auf Tommy und gehe nach draußen.
Der Mond überzieht alles mit schimmerndem Silber. Ich betrachte ihn mit stummer Bewunderung. Er ist nur eine gigantische Kugel aus Stein, die das kalte Licht der Sonne zurückwirft, doch sobald der Himmel dunkel wird, hat er immense Kraft. Ich strecke den Arm aus und tue so, als könnte ich mit den Fingern durch das Mondlicht greifen. Für einen Moment glaube ich sie tatsächlich zu spüren, die Ströme samtigen Lichts, die mir bei meiner Arbeit oft den Weg erleuchtet haben, der nicht selten ein Weg in eine Welt gewesen ist, in der unsägliche Schrecken lauern. Doch daran will ich jetzt nicht denken.
Auf dem Balkon ist es angenehm. Ich lasse den Blick über den Himmel schweifen. In Los Angeles sind die Sterne bloß trübe Lichtpunkte in einem Meer der Schwärze, während sie hier wie Brillanten auf schwarzem Samt aussehen; dieser viel strapazierte Vergleich trifft es ziemlich genau. Über mir kann ich den Gürtel des Orion sehen, und als ich den Blick schweifen lasse, entdecke ich den Großen Bären und den Polarstern.
»Stella Polaris«, flüstere ich und denke an meinen Vater. Er gehörte zu den Menschen, die sich für alle möglichen Dinge begeistern konnten. Er spielte ganz ordentlich Gitarre und schrieb Kurzgeschichten, die mir sehr gefielen, die aber nie veröffentlicht wurden. Und er liebte den Nachthimmel und Bücher über Astronomie.
»Der Polarstern«, hat er mir einmal in einer kalten Nacht erzählt, »wird auch Nordstern genannt. Er ist nicht der hellste Stern
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