Ausgeloescht
am Himmel, wie manche Leute glauben. Der hellste Stern ist Sirius. Aber der Polarstern ist einer der wichtigsten.«
Damals war ich neun und interessierte mich nicht allzu sehr für die Welt der Sterne, und schon gar nicht liebte ich sie, aber ich liebte meinen Vater; deshalb heuchelte ich Interesse und machte ein erstauntes Gesicht. Heute bin ich froh, dass ich es getan habe, denn es hat Dad glücklich gemacht. Er starb, bevor ich einundzwanzig war, und ich hege und pflege jede Erinnerung an ihn.
»Woran denkst du?« Die Stimme hinter mir ist belegt vom Schlaf.
»An meinen Vater. Er hat die Sterne geliebt.«
Tommy kommt zu mir und umfasst mich. Er ist nackt und warm. Ich lege den Kopf an seine Brust. Ich bin nur eins fünfzig, und es gefällt mir, dass er so viel größer ist als ich.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragt er.
»Ich will nicht. Es ist schön, wach zu sein.«
Es ist, als könnte ich ihn lächeln hören. Das mag verrückt klingen, aber es ist die Wahrheit. Tommy und ich sind uns so nahe gekommen, dass wir die unsichtbaren Zeichen des anderen lesen können. Wir sind jetzt fast drei Jahre zusammen, und es war eine wunderschöne Zeit.
Tommys unerwartete Liebe hat mir damals das Leben gerettet. Vor dreieinhalb Jahren war ein Serienmörder namens Joseph Sands - ein Killer, den meine Leute und ich gejagt hatten - in mein Haus eingebrochen. Er folterte Matt, meinen Mann, vor meinen Augen zu Tode. Dann kam ich an die Reihe. Nachdem Sands mich vergewaltigt hatte, nahm er sich mein Gesicht vor und entstellte es so sehr, dass ich mich später selbst nicht wiedererkannte. Zum Schluss starb Alexa, meine damals zehnjährige Tochter. Sands benutzte sie als lebenden Schutzschild, als ich an eine Waffe kam und auf ihn feuerte.
Danach verbrachte ich sechs Monate in einer Welt aus Schmerz und Schock, an die ich mich kaum noch erinnern kann. Die Zeit ist zwar präsent, aber jeder Mensch besitzt eine Art Schutzmechanismus, der das Erinnern an solche Qualen verhindert oder sie zumindest schneller verblassen lässt. Ich weiß nur noch, dass ich damals sterben wollte und nahe daran war, mir das Leben zu nehmen.
Dann aber kamen Tommy und ich zusammen. Tommy war damals noch beim Secret Service. Bei einer meiner Ermittlungen kamen wir uns näher und landeten irgendwann im Bett, womit ich nun wirklich nicht gerechnet hatte - nicht nur, weil ich noch um Matt trauerte und weil Tommy ein so gut aussehender Bursche war, sondern wegen meines Aussehens.
Joseph Sands hatte mir mit einem rostigen alten Messer das Gesicht zerschnitten - methodisch, voller Hass und perverser Freude. Er hat sich in meinem Gesicht verewigt, hat mich mit Blut und Stahl gezeichnet. Die Narbe beginnt mitten auf der Stirn, am Haaransatz, verläuft zwischen den Augenbrauen hindurch und dann in einem Neunzig-Grad-Winkel nach links und über die Schläfe, wo sie eine schwungvolle Schleife auf der Wange beschreibt. Von dort führt sie wieder nach oben und über den Nasenrücken und dann über die Nasenwurzel hinweg, ehe sie wieder kehrtmacht, eine Diagonale über den linken Nasenflügel zeichnet und schließlich über den Kiefer hinunter bis zum Schlüsselbein führt. Die linke Augenbraue fehlt. Sands hat sie mir weggeschnitten, als er mit der Klinge in meinem Gesicht schnitzte, sabbernd vor perverser Erregung.
Ich weiß noch, wie er innehielt, als er mit dem Schneiden fertig war. Ich schrie, während er das, was mein Gesicht gewesen war, aus nächster Nähe betrachtete. Dann nickte er. »Ja«, sagte er, »so ist es gut. Gleich beim ersten Mal ist alles richtig geworden.«
Ich habe mich nie für schön gehalten, habe mich aber stets wohl in meiner Haut gefühlt. Nach dieser Nacht jedoch fürchtete ich mich vor dem Spiegel wie das Phantom der Oper. Auch wenn ich es geschafft hatte, am Leben zu bleiben, führte ich von nun an ein Leben im Dunkeln - ein Monstrum, verborgen in den Schatten.
Erst Tommys unbefangene Leidenschaft öffnete mich wieder für die Welt. Tommy war ein Mann - ein gut aussehender noch dazu -, und er wollte mich. Nicht um mich zu trösten, sondern weil er mich haben wollte, als Frau, trotz meines entstellten Gesichts.
Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, und aus uns beiden ist ein Paar geworden. Wir leben zusammen, und wir lieben uns. Auch Bonnie, meine Adoptivtochter, hat Tommy ins Herz geschlossen. Unser Verhältnis ist ohne Schuldgefühle und gesegnet durch die Geister meiner Vergangenheit.
»Es ist wunderschön«, sagt Tommy nun
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