Ausgeloescht
sage ich, »aber hier liegt noch etwas anderes vor. Bloßstellung des Ehemanns mag einer der Gründe sein, weshalb er die Frau am Leben erhält, aber es erscheint mir irgendwie unvollständig. Ich weiß nur nicht, warum.«
James nickt. »Ich stimme dir zu.«
Ich schreibe alles in verknappter Form an die Tafel, einschließlich des Fragezeichens, das für James' und meine Ahnung steht. Es sind Vermutungen, keine Gewissheiten, aber damit müssen wir leben.
»Warum lobotomiert er seine Opfer?«, fragt Callie.
Ich lege den Kopf schief und denke nach. »Vielleicht aus praktischen Erwägungen, wie James es in seiner Tätertheorie umrissen hat.« Ich bin noch nicht restlos überzeugt, kann aber nicht abstreiten, dass diese Theorie mir zunehmend einleuchtet. »Ein lobotomiertes Opfer kann nichts bezeugen.«
Alan reibt sich das Kinn. »Aber wie soll das zur Bestrafung des Ehemanns führen? Das Opfer kann zwar nichts über den Entführer sagen, es kann aber auch nicht mit dem Finger auf den Ehemann zeigen. Das widerspricht doch der These, dass er sich Möglichkeiten offenhalten will.«
»Stimmt. Und was ist mit Heather?«, frage ich. »Wenn er die Opfer lobotomiert, um keine Zeugen zu haben, warum hat er Heather dann verschont? Und es stattdessen mit Dana gemacht? Bisher hat er keine Unbeteiligten geschädigt, soweit wir wissen.«
»>Soweit wir wissen< ist hier der Schlüsselsatz«, stellt Alan heraus. »Vielleicht war Dana keine Unbeteiligte, sondern steckte in der Sache mit drin.« Ich denke kurz darüber nach. »Möglich«, räume ich ein.
»Er könnte glauben, dass er nichts zu befürchten hat«, fährt Alan fort. »Überleg mal: Er hat Heather acht Jahre lang festgehalten, und was weiß sie von ihm? Nichts. Das könnte sich ändern, sobald sie wieder bei normalem Verstand ist. Allerdings bezweifle ich, dass es dazu kommt.«
»Fest steht es aber noch lange nicht«, merkt James an, »und es passt auch nicht zu dem Profil, von dem wir bislang ausgehen. Diese Art von Pragmatismus würde das Risiko einer Entdeckung gar nicht erst in Betracht ziehen.«
»Vielleicht doch«, sagt Callie. »Angenommen, das Motiv ist Geld, dann würde unser Freund permanent sein derzeitiges Paradigma prüfen, besonders im Hinblick auf Risiko und Nutzen.«
»Und?«
»Sich von jemandem abzocken zu lassen ist ein Unterfangen mit hohem Risiko und null Nutzen. Damit ermutigt man andere, sich ebenfalls zu widersetzen, und senkt folglich sein Einkommen. Unser Freund hat mit solchem Widerstand offenbar schon zu tun gehabt, und nun ist er in Gestalt von Douglas Hollister wieder aufgetaucht. Der Täter hätte beschließen können, dass eine andere Vorgehensweise nötig ist.«
»Zum Beispiel?«
»Heather ist frei. Von ihrem Zustand abgesehen ist sie keine Gefangene mehr. Douglas dagegen ist auf dem Weg ins Gefängnis. Überleg mal. Diese Männer werden vom Hass auf ihre Frauen angetrieben. Wie könnte man sie besser bestrafen, als wenn man sie die Plätze tauschen lässt?« Sie schaut zur Tafel. »Was würdest du darauf wetten, dass die derzeitigen Kunden eine E-Mail, einen Anruf oder eine SMS bekommen haben mit dem Inhalt, sie sollen in den Nachrichten auf den Fall Douglas Hollister achten? Das Risiko ist erhöht, aber auch der Nutzen.«
»Eine interessante Theorie«, räumt James ein. »Wir haben allerdings noch nicht über die größte Anomalie gesprochen.«
Ich ziehe die Brauen hoch. »Und die wäre?«
»Warum bestätigt er seine Existenz, indem er eine SMS schickt, einen Zettel in Heathers Tasche hinterlässt und dir eine Karte vor die Haustür legt? Wenn er nur Douglas schädigen will - warum tritt er dann selbst aus dem Schatten hervor?«
Eine gute Frage. Vielleicht sogar die beste.
»Möglich, dass wir es besser verstehen, wenn wir mehr über die früheren Opfer wissen«, sage ich. »Callie, ich möchte, dass du das übernimmst. Ruf die entsprechenden Stellen an und sieh zu, dass sie dir die Akten schicken.«
»Mit Vergnügen.«
»Der schnellste Weg zu einem undisziplinierten Täter führt über das, was ihn antreibt«, sagt James. »Viktimologie. Der schnellste Weg zu
unserem
Täter führt über methodisches Vorgehen.«
»Stimmt«, pflichte ich ihm bei. »Dann lasst uns die Voraussetzungen untersuchen.« Ich gehe zur Tafel und finde noch einen freien Bereich.
METHODE /ERFORDERLICH, schreibe ich hin.
»Bleiben wir bei dem Geldmotiv und schauen uns die grundlegenden Faktoren an. Was braucht der Täter, um das zu tun, was er tut?
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