Ausgerechnet Souffle'!
schwöre, der bedauernswerte Junge spürt das körperlich.
„Lass das sein. Sonst rufe ich Andreas an.“
Ich klopfe auf ihren Arm. Sie löst den Blick betont langsam von Saschas Kreuz und grinst mich schelmisch an.
„Was denn? Ich mache doch gar nichts.“
„Dann hör auf damit, gar nichts zu machen. Er fängt schon an, die Bücher falsch zu sortieren.“
Am großen Tisch in der Ecke sitzen Louise von Stetten (die Henry-Miller-Dame) und Linda Meininger in trauter Zweisamkeit zusammen und ignorieren geflissentlich ein unscheinbares junges Mädchen, dessen Namen ich noch nicht kenne. Sie fällt mir bereits seit einer Weile auf. Sie huscht meist unauffällig in den Laden und begibt sich direkt zwischen die Bücherregale, um sich die Titel anzusehen. Ich hätte sie gar nicht bemerkt, hätte ich sie nicht versehentlich einmal umgerannt und wäre sie nicht beim zweiten Mal mit einem Buch an die Kasse geschlichen. Heute traut sie sich, zum Mittagessen zu bleiben und bestellt mit zittriger Stimme das Tagesgericht. Den Blick starr durch die dicken Brillengläser auf den Teller gerichtet, erinnert sie mich an ein kleines, gerupftes Vögelchen. Ihre Augen wirken in dem herzförmigen Gesichtchen riesig, was nicht zuletzt an der erheblichen Stärke ihrer Sehhilfe liegt. Jeden Bissen, den sie lange und beinahe andächtig kaut, spült sie mit einem winzigen Schluck Mineralwasser hinunter. Als Frau Meininger neben ihr unvermittelt auflacht, zucken ihre knochigen Schultern zusammen. Der Spatz wird zur Schnecke. Sie zieht den Kopf ein, als wolle sie in einem imaginären Schneckenhäuschen verschwinden. Die anderen beiden Damen kommen mir hingegen eher wie ausgewachsene Krähen vor. Wenn auch von der amüsanten Sorte und kein bisschen bedrohlich. Die Zwei haben sich gesucht und gefunden. Das kann man nicht nur erkennen, sondern vor allem hören.
Frau Meininger verdanke ich Britta. Meine Freundin drückte ihr während einer Beratungsstunde den roten Flyer in die Hand, nachdem sie ihre Klientin mit Pralinen und ermunternden Worten getröstet hatte. Kleine, mit Schokolade überzogene Haselnusskugeln benutzt Britta als Geheimwaffe gegen Tränen und Wut gleichermaßen. Die bunte Schachtel gehört, gleich neben der obligatorischen Kleenex-Box zu Brittas Schreibtischausstattung wie normalerweise Locher und Heftmaschine. Wüsste ich nicht genau, wie gut sie in ihrem Job ist, würde ich behaupten, dass ihre Klientinnen sie nur wegen dieser köstlichen, runden Dinger aufsuchen.
Pralinen gelten aufgrund ihrer aufwendigen Herstellung als Krönung der Chocolatierskunst. Sie werden mit Nougat, Nüssen, Pistazien, Likör oder Marzipan gefüllt. Die Bezeichnung Praline setzt einen Mindestanteil von 25 Prozent Schokolade voraus. Als Erfinder des Konfekts gilt der Koch von Cesar de Choiseul, Comte de Plessis-Praslin (1598-1675), Feldmarschalls und Minister des Sonnenkönigs Ludwig XIV, der seine Süßigkeit abgerundet durch Mandeln und Zucker nach seinem Herrn benannte. Hochburg der Pralinenmacher ist Brüssel mit den Stammsitzen der weltweit verkaufenden Haupthersteller.
Amüsanterweise tut Linda Meininger so, als kenne sie Britta nur entfernt. In Anbetracht dessen, dass sie meiner Freundin in regelmäßigen Sitzungen ihr komplettes Leben mit all seinen Abgründen offenbart, finde ich das reichlich skurril. Britta erklärte mir, das sei Professionalität beider Seiten. Alles dorthin, wo es hingehört. Es gelang mir jedoch, ihr ein paar delikate Details zu entlocken, die sie mir selbstverständlich nie erzählte.
Zum Ersten heißt Frau Meininger gar nicht so. Eigentlich besitzt sie einen Doppelnamen. Aber den ihres Mannes lässt sie derzeit weg, weil dieser angeblich an allem schuld ist. Was auch immer das sein sollte. Der recht attraktiven Frau mittleren Alters stünde dieses blendend, wollte sie nicht verzweifelt jünger erscheinen, als der Wahrheit entspricht. Ihr Kleidergeschmack ist exklusiv, ihre Kosmetikerin vermutlich ebenso teuer wie ihr Friseur. Wobei Letzterer in ihren Kreisen „Stylist“ genannt wird. Sie beschäftigt eine Haushälterin und einen Gärtner, deren Berufsbezeichnung korrekterweise „Facility-Managerin“ und „Landschaftsdesigner“ lautet. Sicherlich residiert sie in einem großzügigen Haus in Marienburg oder irgendeinem anderen „besseren“ Viertel. Und sie bezahlt einen Personaltrainer, dessen Dienstleistungen zweifellos rein körperlicher Natur sind. Ihr Ehemann wohnt da nur laut Klingelschild.
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