Ausgerechnet Souffle'!
Als Manager oder Anwalt arbeitet dieser rund um die Uhr, damit er seiner Gattin das luxuriöse Leben bieten kann. Ein Teufelskreis. Die arme Frau bekommt ihn nie zu Gesicht und wenn, dann spricht er nicht mit ihr. Eine normale Ehe also. Das delikate Detail an der Sache sieht man ihr nicht an. Noch nicht. Sie ist nämlich schwanger. Und hat offenbar keine Ahnung, ob sie das erfreulich oder lästig findet. Ich gewinne den Eindruck, dass sie sich mit dieser Frage auch gar nicht zu beschäftigen gedenkt. Ohne mit der Wimper zu zucken, bestellt sie einen Viertelliter Grauburgunder und raucht nach dem Essen ihre obligatorische Zigarette. Leider weiß ich ja nicht, dass sie in besonderen Umständen ist, sodass ich mich nicht traue, ihr unumwunden ein Glas Wasser statt des Alkohols zu bringen.
Louise von Stetten liest täglich ein anderes Buch. Sie sitzt Stunden versunken in ihre Lektüre auf ihrem Lieblingspolsterstuhl in der Ecke. Zwischendurch schreibt sie in ein elegantes Notizheft. An manchen Tagen scheint sie ihren ganzen Papierkram hier zu erledigen, einschließlich ihrer Einkaufszettel. Manchmal spüre ich ihren sinnierenden Blick im Rücken und bin sicher, sie sieht mir genauestens bei der Arbeit zu. Doch jedes Mal, wenn ich aufschaue, schiebt sie in dieser typischen Handbewegung ihre Lesebrille auf die Nasenwurzel zurück und vertieft sich in ihren Schmöker. Sie ist merkwürdig. Ist Linda Meininger nicht in ihrer Nähe, lächelt sie nur selten und oft mutet es an, als künde die steile Falte auf ihrer Stirn schlecht gelaunt davon, wie grässlich sie das Leben findet. Ja beinahe, als füge es ihr körperliche Schmerzen zu. Dennoch kommt sie Tag für Tag, pünktlich zur selben Uhrzeit. Sie isst das Mittagsmenü, baut ihren Schreibkram auf, notiert und liest. Nach dem Essen bestellt sie ihren obligatorischen Espresso mit Milchschaumhäubchen und einem Glas Wasser für ihre Tabletten. Sie entnimmt die winzigen weißen Dinger einer silbernen Schatulle, die sie rasch wieder in ihrem Täschchen verschwinden lässt. Als wäre es unschicklich, Medikamente zu nehmen. Und sie verlässt den Laden immer nach genau drei Stunden. Ob sie wohl einen Mann hat? Frau Meininger hat jedenfalls einen. Das kann jeder hören. Besonders leiden mag sie ihn allerdings nicht. Was auch jeder hören kann, ob er will oder nicht.
Schneckenvögelchen schluckt den letzten Bissen herunter und betupft mit der Blümchenserviette sorgsam ihre Mundwinkel. Sie schiebt den Teller zurück und erweckt den Anschein, sich so verzweifelt entspannen zu wollen, dass sie nur noch verkrampfter wirkt. Ihre ohnehin zierliche Gestalt verstärkt den Eindruck der Zerbrechlichkeit, der sich forthin in ihrem spitzen, fahlen Gesicht manifestiert. Alles an ihr scheint unglaublich klein und zart. Ihre schmalen Hände sind penibel gepflegt und schmucklos, die Haut mutet vornehm blass an, wie die der Heldinnen aus den Romanen von Emily Bronté. Unvorteilhafterweise trägt die junge Frau passend zu ihrem mausgrauen Wesen eine altmodische, schlammbraun-karierte Hose und eine cremefarbene Rüschenbluse, mit der sich nicht mal meine Oma hinausgetraut hätte. Sie ist völlig ungeschminkt. Dabei mag sie kaum älter als Mitte zwanzig sein. Ich erhebe mich und gehe zu ihr. Fürsorglich hänge ich die heruntergefallene, braune Strickjacke an ihre Stuhllehne. Sie sieht mich so betroffen an, dass ich zurückweichen möchte, um ihr ihren Raum zu lassen, den sie scheinbar so dringlich benötigt.
„Einen Kaffee?“ frage ich stattdessen und lege all meine Wärme in die Stimme, die gleich eine Nuance voller wird.
Sie nickt zögerlich, und als ein schüchternes Lächeln ihr Gesicht erhellt, verschlägt es mir beinahe den Atem, so viel elfenhafte Schönheit liegt darin. Doch der Moment geht vorüber. Eine Knitterfalte erscheint auf ihrer Stirn.
„Ich heiße Julia.“
Sie sagt ihren Namen hastig und undeutlich. Ich glaube, es kostet sie unbändigen Mut.
„Und ich bin Katta. Schön, dich hier zu haben.“
Sascha macht den Kaffee für Julia. Mein kleines Büro im Hinterzimmer wartet. Ich muss dringend den Kochkurs vorbereiten, der diesen Freitag startet. Es wird vorläufig ein Schnupperkurs ohne feste Anmeldung sein, bei dem Interessierte einfach reinschauen können. Sollte ich genug Zulauf erhalten, möchte ich mit regulären Kursen loslegen.
Noch im Hinausgehen höre ich Britta zu Sascha sagen:
„Und was ist mit Tee?“
Ich verbeiße mir ein Lachen. Die olle Zicke. Engelchen
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