Ausgerockt - [Roman]
gleitende Bassläufe.
Es war ein E-Dur Akkord, und sie ließen ihn geduldig verklingen, sich selbst auslöschend, stolz, ohne trotzige Rückkopplungen, bis Linus nur noch das Rauschen der Verstärker hörte.
Brunssen stellte besonnen seinen Bass zur Seite, drehte seinen Verstärker leise, schaltete ihn aus und sagte: »Das war ziemlich gut.«
Dann nickte er Lennard zu. »Ich muss los. Kommst du mit?«
Lennard schnallte seine Gitarre ab. »Und unsere Sachen?«
»Kriegen wir jetzt eh nicht alles mit. Holen wir wann anders.«
Plötzlich sprang Holger hinter seinem Schlagzeug auf, riss seine Jacke vom Boden auf und verließ, ohne ein Wort oder einen Blick zu hinterlassen, den Proberaum.
Lennard zuckte mit den Schultern, Brunssen schüttelte den Kopf.
Linus ging zum Fenster. Er sah Holger mit aufgestelltem Kragen aus dem Haus gehen. Mit gebeugtem Rücken, eingezogenem Kopf und den Händen in den Taschen seiner Lederhose lief der Schlagzeuger durch den Lichtkegel der Laterne hindurch und an Brunssens Mercedes vorbei. Er sah sich nicht um und nicht zur Seite. Der Kopf war starr nach vorne gerichtet, auf die Dunkelheit des Gewerbegebietes, in der er verschwand.
»Das haut ihn glatt um«, sagte Linus leise, eigentlich zu sich selbst.
Brunssen hatte es gehört. »Jetzt hör auf. Wir haben hier das Ende der Band beschlossen, nicht das Ende unserer Freundschaft oder unseres Lebens. Der wird klarkommen.«
Linus wandte sich vom Fenster ab. Brunssen kam auf ihn zu, um ihm die Hand zu reichen. »Sieh zu, Keller.« Dann drehte er sich um und ging. Lennard hob kurz die Hand zum Gruß und folgte Brunssen zögerlich.
Linus setzte sich wieder auf die Bierkiste und stützte sein Kinn auf eine Hand. Sein Blick fiel auf einen der Beckenständer. Holger hatte den Sony-Brief darauf aufgespießt.
Plötzlich ging die Tür wieder auf und Brunssen steckte seinen Kopf hindurch: »Hey.«
Linus stand auf. »Was vergessen?«
»Im Grunde schon. Ich wollte dich noch mal an meine Hochzeit erinnern. Nächstes Wochenende.«
Natürlich. Vor einiger Zeit hatte Brunssen erzählt, dass er Ina heiraten werde. Linus war so mit sich selbst beschäftigt gewesen, dass er es vollkommen vergessen hatte.
»Klar. Ich freu mich«, brachte er schließlich hervor. Er erinnerte er sich daran, dass Brunssen von einer der ostfriesischen Inseln gesprochen hatte.
»Norderney, richtig?«
»Wangerooge. Auf dem alten Leuchtturm.«
»Ah ja, auf dem Turm. Klasse.«
»Es bleibt also dabei, dass du kommst?«
»Na klar.«
Brunssen lächelte. »Ganz schön unheimlich, was? Sie wird dann Ina Brunssen heißen.«
Linus wiederholte es mit großen Augen. »Ina Brunssen.«
»Vielleicht bindest du es den beiden anderen nicht vorher auf die Nase. Du weißt, wir feiern im kleinen Rahmen. Ich kann euch nicht alle einladen.«
Linus nickte.
»Also dann, ruf mich bis Donnerstag an, wenn du noch Fragen zum Ablauf hast. Lennard wartet, ich muss los.«
»Bis dann«, sagte Linus.
Brunssen sah verlegen aus. Er verließ den Raum, und nach einer knappen Minute hörte Linus das Schlagen der Autotüren, den Motor und schließlich Autoreifen auf Kies.
Die Trauung fand um elf Uhr morgens auf dem Leuchtturm von Wangerooge statt. Der Raum in etwa dreißig Meter Höhe war sehr klein, sodass nicht einmal die Hälfte der Gäste bei der Trauung selbst anwesend sein konnte. Brunssen hatte Linus gefragt, ob er Wert darauf lege, dabei zu sein, aber Linus fand, dass er nicht in den intimsten Familienkreis gehörte.
Während der Trauung saß er also mit Verwandten zweiten Grades und Kollegen ersten Grades auf Holzbänken auf dem Gelände des Turmes, sah zur Aussichtsplattform hinauf und wartete mit einer Handvoll Konfetti auf die Wiederkehr des Brautpaares.
Es war ein strahlender Vormittag. Der für die Inseln typische salzige Seewind strömte in angenehmer Regelmäßigkeit über das Land und erfrischte die Luft.
Linus stellte fest, dass er die Menschen, die in Brunssens Leben eine wichtige Rolle spielten, also Familienmitglieder, Trauzeugen, Freunde und Kollegen, überhaupt nicht kannte. Mal abgesehen von Brunssens Schwester Ramona, mit der er einmal gefeiert hatte. Das war allerdings schon eine ganze Weile her.
Linus blinzelte gegen die Sonne. Dort oben wurde ein Ja-Wort gegeben, während in seinem Inneren so etwas wie eine Trennung stattfand. Die Abtrennung eines Teils von ihm.
Die Zeremonie dauerte länger, als er erwartet hatte, erst um kurz vor zwölf war es so weit und Linus
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