Ausgesaugt
Leben nicht gewachsen sind und etwas suchen, an dem sie sich festhalten können. Ich war immer stolz darauf, die Neuen in meiner Branche genau zu überprüfen und nur diejenigen einzustellen, von denen ich überzeugt war, dass sie den nötigen Willen, das Durchhaltevermögen und die Flexibilität aufwiesen, die das harte Leben im Pornogeschäft erfordert.
Womit er in gewisser Weise sogar Recht hat. Jeder weiß, dass Chubby ein wahrer Meister seines Fachs ist. Er stellt keine Junkies ein, niemanden, der sich gern selbst verstümmelt, keine Bipolaren oder Feiglinge. In dieser Hinsicht hat er eine weiße Weste. Er arbeitet nur mit eiskalten Profis und sexgeilen Freaks, die es gerne vor der Kamera treiben. Er kümmert sich um seine Leute, seien es Angestellte oder Freiberufler. Chubby lässt niemanden hängen, wenn eine Razzia ansteht oder jemand einen Stalker an der Backe hat. Ich hab des Öfteren die Security in seinem Studio übernommen. Es ist kein schöner Ort – so weit würde ich nicht gehen –, aber zumindest hab ich dort niemanden gesehen, der sich vor einem Analgangbang einen Schuss zur Entspannung gesetzt oder ein paar Ohrfeigen kassiert hat, weil er keinen Bock auf Schwanzlutschen hatte.
Insgesamt gesehen ist Chubby wohl ein ehrenwerter Drecksack.
Jetzt habe ich auch das andere Ding gefunden, nach dem ich gesucht habe: ein etwa dreißig Zentimeter langes Stück Fahrradschlauch, gefüllt mit Sand und an beiden Enden mit dickem Faden zugenäht. Wenn man ihn aufhebt, ist er leichter als erwartet. Aber ein Schlag damit auf den Hinterkopf, und man bringt so ziemlich jeden zu Fall. Ich verstaue den Schlauch in der noch freien Jackentasche.
– Ich verstehe. Du erkennst eine verlorene Seele, wenn du eine siehst. Der Junge war also ein hilfloser Welpe auf der Suche nach Liebe und Anerkennung in einer kalten Welt. Aber warum hat er sich deine Tochter geschnappt und an einen Ort gebracht, an dem du sie nicht finden kannst?
Er schüttelt den Kopf.
– Sie sind nicht vor mir weggelaufen, Joe. Der Junge...
Er führt die Zigarre an die Lippen, bemerkt, dass sie ausgegangen ist, und lässt sie wieder sinken.
– Der Junge gehörte zur Koalition.
Ich blicke von Dallas’ Waffe auf, die ich gerade auf ihre Tauglichkeit im Notfall überprüfen wollte.
– Scheiße.
Chubby nickt.
– Er hat Society-Territorium betreten, um sich mit meiner Tochter zu treffen. Und er ist geblieben.
– Scheiße.
Er geht einen Schritt auf mich zu.
– Da oben geht’s rund, Joe. Wenn ich früher etwas in Erfahrung bringen wollte, musste ich mich richtig anstrengen, überlegt vorgehen, jeden Schritt genau planen. Allein das Wissen um das Vyrus war schon gefährlich. Aber jetzt? Jetzt ist alles so... hektisch. Ich kriege ungefragt die bizarrsten Geschichten zu hören. Gewisse Gerüchte machen die Runde. Nicht unter den Normalsterblichen, das noch nicht. Aber in dieser Grauzone, im Grenzbereich. Es wird viel geredet, in Kneipen, Massagesalons, Crackhäusern, Nachtclubs, an Straßenecken und, das will ich auch nicht verschweigen, in den Hinterzimmern der Polizeireviere, wenn nach Dienstschluss die Flasche kreist. Die Leute sehen seltsame Dinge. Sie glauben zwar nicht daran, sehen sie aber trotzdem. Schreiben in ihren Blogs darüber. Die Klatschpresse ist schon auf den Zug aufgesprungen. Der grausamste Serienkiller seit Jack the Ripper – so in diesem Stil. Man kann die Spannung auf der Straße förmlich spüren. Jeder, der einigermaßen den Durchblick hat, weiß, dass sich da was zusammenbraut. Die Kacke ist am Dampfen. Die Lunte brennt, die Bombe tickt. Ich hab so ziemlich jede Metapher gehört. Es herrscht wirklich eine ungute Atmosphäre, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Spannungen entladen.
Die Pistole scheint in Ordnung zu sein. Es ist eine schwarze Automatik, und das Loch am Ende des Laufs ist groß genug, um Kugeln durchzulassen, die ernsthaften Schaden anrichten können. Das Magazin ist voll, und Gott sei Dank ist nirgendwo Made in China auf die Waffe graviert. Sie wird ihren Zweck erfüllen.
Ich stecke sie in den Gürtel und ziehe die Jacke darüber.
– Was ist dann passiert, Chubby? Aber bitte die Kurzfassung.
– Was passiert ist?
Er bricht die Zigarre in zwei Teile und lässt sie auf den Boden fallen.
– Terry Bird hat den Jungen in die Society aufgenommen. Was seine Truppenstärke und Bewaffnung angeht, kann er es nicht mit der Koalition aufnehmen, doch seine Propagandamaßnahmen sind äußerst
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