Ausgesaugt
allein.
Digga beugt sich zwischen die Vordersitze, leckt an seinem Daumen und reibt damit über einen Blutfleck auf dem beigefarbenen Leder.
– Was bringt’s, wenn sein Hals wieder zusammenwächst, frag ich dich? Gar nichts. Der hat so viel Blut verloren, und bis zum Ende der Woche muss er hungern. Spätestens in ein paar Tagen knallt er durch. Das hat mir gerade noch gefehlt. Noch einer von den irren Motherfuckern, die mein Territorium unsicher machen.
Er lässt sich auf den Sitz neben mir fallen.
– Scheiße.
Seine Hände fahren über seine Oberschenkel, streichen den schwarzen Wollstoff seiner Hose glatt.
– Das Allerletzte, was ich gerade brauchen kann, ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass der ganze Scheiß hier den Bach runtergeht. Und da kommst du daherspaziert. Scheiße.
Seine Augen wandern wieder zum Bildschirm.
– Sieh dir das mal an.
Er berührt den Bildschirm, und ein Laufbalken erscheint am unteren Rand. Er fährt das Video zurück, dann lässt er den Film wieder vorwärts ablaufen. Gemeinsam betrachten wir einen zwanzigsekündigen Clip, in dem eine verhungernde Irre, die zum Hood gehört, aus dem zweiten Stock eines Gebäudes vor einen fahrenden Bus springt. Der Bus erfasst sie, noch bevor sie den Boden berührt. Sie wird ungefähr fünf Meter weit in das Sicherheitsglas eines Schaufensters geschleudert. Obwohl ihr überall die gebrochenen Knochen aus der zerrissenen Haut ragen, rafft sie sich auf und rennt den Gehweg hinunter.
Digga schüttelt den Kopf.
– Dieses beschissene YouTube. Irgendein Motherfucker hat das mit seinem Handy aufgenommen. Scheiße, Minuten später war’s online. Schau dir den Titel an, Mann: Irre PCP-Schlampe will einfach nicht sterben.
– Was ist denn YouTube?
Er sieht mich an und schüttelt den Kopf.
– Der beschissene Joe Pitt.
Er deutet auf den Bildschirm.
– Das ist deine Schuld, du beschissener Motherfucker.
Ich beuge mich vor, betrachte mir das Video genauer und schüttle den Kopf.
– Ich kenn die Irre doch gar nicht.
Er packt mich im Genick und rammt meinen Kopf gegen das Display. Der Bildschirm zerbricht und wird schwarz. Ich kann nichts mehr sehen, weil er den Lauf einer Pistole vor mein verbliebenes Auge hält.
– Dann erzähl ich dir mal was über die Irre. Das war ’ne echte Lady, Mann. ’ne anständige Frau. Hatte ’nen Universitätsabschluss. Eine Stütze unserer Gemeinschaft. Hat sich um die jungen Leute gekümmert, die sich erst noch an unser Leben gewöhnen müssen. Hat ihnen geholfen, sich anzupassen. Sie hat die Kids geliebt, Mann. Weißt du, wie sehr? Vor ein paar Monaten, als die Kacke richtig am Dampfen war, musste ich das Blut rationieren und den Leuten verbieten, bis auf weiteres die Scheißnormalos umzubringen. Und sie hat ihre Rationen an die Kids verteilt. Damit sie’s nicht so schwer haben und so. So eine ist sie, Mann. War sie. Weil ich der beschissenen Schlampe nämlich eine Kugel in ihr Scheißhirn jagen musste – und zwar genau wegen dem Scheiß, den du gerade gesehen hast. Motherfucker! Motherfucker!
Er drischt mir ein paarmal die Pistole gegen den Schädel. Meine Nase bricht. Mal wieder.
Er hält inne, betrachtet die Waffe und wischt das Blut an meiner Jeans ab.
– Scheiße.
Ich nehme meinen Nasenrücken zwischen Daumen und Zeigefinger und rücke ihn wieder zurecht.
– Hey, Digga.
Er schweigt.
Ich ziehe das Tabakpäckchen aus der Tasche und drehe mir eine.
– Ganz wie in alten Zeiten, oder?
Digga trägt schwarz. Von den Hosen über das Jackett, das Hemd, die Krawatte, die Socken und Schuhe bis zu den Manschettenknöpfen. Tiefstes Schwarz. Nur einen Hauch schwärzer als er selbst. Ziemlich praktisch, denn man sieht das Blut nicht, das auf ihn gespritzt ist, als er mir die Nase gebrochen hat. Trotzdem scheint es ihn zu stören.
Er reibt mit einem feuchten Taschentuch auf einem Blutfleck herum.
– Du musstest ja das Maul so weit aufreißen, oder? Wo du herkommst, Pitt, scheint die hohe Kunst der vornehmen Zurückhaltung nicht so angesagt zu sein, oder?
Ich schweige.
Er sieht mich an.
– Soll das witzig sein?
Ich zucke mit den Schultern.
Er schüttelt den Kopf.
– Toll. Weißt du, was passiert ist? Du hast einfach so den Schwanz eingezogen. Und was war das Ergebnis?
Er knüllt ein paar Taschentücher zusammen und wirft sie in den Fußraum.
– Eine Unterhändlerin der Society kommt vorbeigeschneit. Lydia Miles. Als geheime Abordnung. Will mit mir persönlich verhandeln.
Weitere Kostenlose Bücher