Ausgesaugt
funkensprühend an mir vorbei in die Station ein. Der letzte Waggon kommt etwa fünf Meter von mir entfernt zum Stehen.
Ich warte, bis sich die Türen öffnen, bis die Leute ausgestiegen und sich in die Waggons gedrängelt haben, warte auf das Signal, mit dem sich die Türen wieder schließen. Ich warte auf das Zischen der Druckluftbremsen und den Ruck, mit dem der Zug anfährt. Erst dann verlasse ich meine Deckung, renne los, springe auf die winzige Plattform am Ende des Waggons, packe ein kurzes Stück Kette, das vom Wagen baumelt, und ducke mich. Ich will vermeiden, dass ein Kind, das zufällig aus dem Fenster glotzt, ein blutverschmiertes Monster zu Gesicht bekommt.
Dicht an die Stahlwand des Wagens gepresst und vom Bahnsteig abgewendet, kann ich schlecht einschätzen, ob mich jemand bemerkt hat. Wenn ja, hält man mich bestimmt für einen durchgeknallten Teenager beim U-Bahn-Surfen. Wegen so was verständigt keiner den Sicherheitsdienst oder die Polizei. Außerdem hab ich sowieso keine andere Wahl. Mir fehlt die Zeit für einen Fußmarsch.
Evie will, dass ich Chubbys Tochter finde.
Das hab ich erledigt. Trotzdem hab ich das unbestimmte Gefühl, dass sie nicht besonders begeistert sein wird, wenn ich bei ihr reinschneie und ihr erzähle, wo ich das Mädchen gelassen habe.
Es gibt also noch viel zu tun.
Wie immer.
Als der Zug an der 59th zum Stehen kommt, springe ich ab und klettere an einer Wartungsleiter einen Luftschacht hinauf, der zur Broadway Line führt. Die Linien zu wechseln kann ja nicht schaden, falls mich doch jemand auf dem Sechser-Zug gesehen haben sollte. Nach fünf Minuten erwische ich einen Zug Richtung Downtown. An der 57th springe ich erneut ab und warte auf die Q-Expresslinie. Nach sieben Minuten kommt ein Zug, der die 49th auslässt und direkt am Times Square hält. Dort muss ich ein bisschen tiefer im Tunnel warten, weil ein paar Kids am Ende des Fahrsteigs Knallfrösche auf die Gleise werfen. Die kleinen, in weißes Papier gefalteten und mit Sägespänen vermischten Schwarzpulverladungen explodieren mit einem flachen Krachen.
Sobald die Q anfährt, renne ich los. Sobald ich aus der Dunkelheit auftauche, bombardieren mich die Kids mit Knallfröschen und schreien fast so laut wie die Kreaturen in Amandas Keller. Und als ich mich auf die kleine Plattform am Ende des Zugs schwinge, deuten sie auf mich. Die Wartenden auf dem Bahnsteig starren mich an, als ich an ihnen vorbeifahre und wieder in der Dunkelheit am anderen Ende des Bahnsteigs verschwinde.
Wegen mir werden sie den Zug nicht außerplanmäßig zwischen den Stationen stoppen, da bin ich mir ziemlich sicher. Niemand ist scharf drauf, einen Geisteskranken durch die Tunnel zu jagen. An der 34th bleiben wir nicht stehen, sondern verlangsamen nur das Tempo. Ich meine, ein paar Cops auf dem hinteren Teil des Bahnsteigs zu erkennen, die die Köpfe recken, um das Ende des Zugs beobachten zu können. Zum Glück bin ich mittlerweile auf dem Dach. Mit meinen sieben Fingern und dem Daumenstummel kann ich mich gerade so am Wellblech festhalten. Ich muss aufpassen, dass ich in den Kurven nicht über den Wagenrand hinausrutsche. Wir passieren die 23rd und fahren weiter.
Der nächste Stopp ist die 14th, eine ziemlich große Haltestelle. Keine Ahnung, ob sie den Bahnsteig bereits geräumt haben – aber bei einem Typen, der verrückt genug ist, um auf eine fahrende U-Bahn aufzuspringen, wird man vermutlich kein Risiko eingehen wollen. Der ist zu allem fähig.
Trotzdem weiß ich es nicht mit Sicherheit. Und das reicht mir nicht. Daher springe ich ab.
Da gibt’s keine sichere Methode. Ich versuche einfach nur, mich beim Aufprall nicht mit meinem eigenen Messer aufzuspießen. Und anschließend so schnell wie möglich das Gleis zu verlassen. War insgesamt eine ziemlich sanfte Landung, außer dass meine Rippen wieder mal gebrochen sind. Ich glaube, diesmal werden sie nicht mehr zusammenwachsen. Jedenfalls nicht in nächster Zeit, sollte ich nicht schnellstens an Blut kommen.
Ich rappele mich auf und sehe nach, ob ich nichts verloren habe, als mich etwas in die Eingeweide sticht und dort kräftig zu rumoren beginnt. Ich setze mich wieder, halte mir den Bauch, beiße die Zähne zusammen und warte, bis es aufhört.
Es hört auf.
Das habe ich schon einmal gespürt. Mit diesen Stichen erinnert einen das Vyrus daran, jemanden umzubringen und leerzutrinken. Nur hatte ich sie noch nicht so früh erwartet. Schließlich habe ich erst gestern den Kerl
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