Ausgesaugt
Meine Frisur ist bestimmt völlig durcheinander, stimmt’s? Kannst du mal nachsehen, Joe? Hast du einen Spiegel dabei oder so?
– Deine Frisur sitzt prima.
– Das kannst du doch nicht beurteilen. Mann, eine Frisur wie meine braucht ständige Pflege. Da kann man sich nicht gehenlassen, Mann. Da muss man Zeit und Mühe investieren. Hey, Joe. Infizier mich. Das wird schon gutgehen, das spür ich. Jetzt pass auf, das wird dir gefallen. Wenn ich, ah, Scheiße, ich sollte wirklich nicht lachen, aber wenn du mich erst mal infiziert hast, dann verheilt doch alles wieder ganz schnell. Stell dir mal vor, was für Abreibungen du mir dann verpassen kannst. Na? Na? Wär’ doch Spitze, oder?
Er kichert.
– Ach Scheiße, jetzt hab ich doch gelacht. Außerdem, Joe, wer soll dir denn dann deine Zigaretten drehen? Stimmt doch, oder? Außer mir ist ja kein Arsch hier. Joe, nur ein bisschen von deinem Blut. Mehr will ich nicht. Komm schon, ich bin sowieso eine einzige Wunde, da kannst du doch ein bisschen auf mich draufbluten. Das wird schon gutgehen, das weiß ich.
Sein Blut fließt weiter, ohne dass ich es trinke.
Seine Finger zittern.
– Ich weiß, was du jetzt denkst, okay, ich versteh dich ja, du kannst mich sowieso nicht leiden und du willst mich auch nicht in alle Ewigkeit an der Backe haben, aber, Joe, das wollt ich doch schon immer. All die Jahre war ich ein beschissener Renfield und hab immer auf so eine Chance gewartet. Verstehst du? Mann, ich mach dir auf keine Fälle Vorwürfe wenn nicht, aber Joe, Mann, gib dir ’nen Ruck. Ich, Mann, ich will nur sagen, ich will nicht sterben. Gib mir ’ne Chance.
Ich denke an Amandas Präparate. Ich denke an das, was die Vyruszellen mit jemandem anstellen, der nicht vyrus-positiv ist. Ich hab’s gesehen. Klar, es gibt schlimmere Arten zu sterben. Aber nicht allzu viele.
– Phil.
– Joe. Joe Pitt. Joe Pitt, die harte Sau.
– Phil.
– Gib dir ’nen Ruck, Joe.
– Wenn ich dich infiziere, kann ich dein Blut nicht mehr trinken.
Er blinzelt.
– Ach Scheiße! Also, Himmelnochmal, Mann, darauf läuft’s also am Ende raus, Joe? Mann, wir waren doch immer ein Team, und jetzt soll es so enden? Du versuchst nicht mal, mein Leben zu retten, nur damit du mein Aas fressen kannst? Ist das die Art, und bitte entschuldige den Ausdruck, aber das sage ich jetzt ganz ungeniert, aber ist das die Art, wie Freunde miteinander umgehen?
– Wer sagt denn, dass wir Freunde sind?
Er wendet sich ab.
– Das tut weh, Joe.
Ich greife in meine Jacke.
– Phil.
– Auf deine Entschuldigungen kann ich verzichten.
– Phil.
– Will ich gar nicht hören.
– Tut mir leid, Phil.
– Was hab ich gerade...
Ich ziehe das Messer, fahre damit über meine Handfläche und halte die Hand dann über das Loch in seinem Bauch. Mein Blut tropft in die Wunde.
Er sieht mich an.
– Hey, Joe, hey.
Seine Augen wandern hin und her.
– Hey, Joe. Danke.
Weißer Schleim bildet sich in seinen Augenwinkeln. Das Blut, das aus seiner Wunde fließt, färbt sich schwarz. Ein Zucken fährt durch seine Knochen. Ich lasse das Messer fallen, packe seinen Kopf, drehe ihn mit aller Kraft zur Seite und ziehe. Ich weiß es nicht hundertprozentig, aber ich glaube, ich habe ihm das Genick gebrochen, bevor er richtig was spüren konnte. Und jetzt ist er tot.
Ich stehe auf und sammle das Messer ein. Dann ziehe ich den Tabak raus, aber meine Finger sind so klebrig vom Blut, dass ich mir keine drehen kann. Die Streichhölzer sind sowieso nass geworden. Was hab ich noch? Amandas Schlüsselbund, die Autoschlüssel, Chubbys Geld, das Handy und die Drahtsäge.
Ich stupse Phils Leiche mit der Fußspitze an.
Arschloch. Ich bin ein Arschloch.
Ich bin ein Arschloch, weil ich das gute Blut sinnlos verschwendet habe. Sinnlos. Völlig sinnlos.
Dann gehe ich weiter. So wie ich aussehe, kann ich schlecht in die U-Bahn steigen. Also schlendere ich den Tunnel hinunter. Dann renne ich los.
Ich weiß nicht, weshalb.
Ich renne einfach.
An der 68th bleibe ich stehen.
Der Bahnsteig ist gerammelt voll. Leider gibt es hier kein totes Gleis, auf das ich ausweichen könnte. Ich bin über und über mit Blut und einer eiterähnlichen Schmiere bedeckt. Ich drücke mich im Schutze einer Säule gegen die Tunnelwand und warte. Nach ein paar Minuten spüre ich einen schwachen Luftzug, der sich einige Sekunden später in einen Windstoß verwandelt, den die Linie 6 vor sich herschiebt. Dann fährt der Zug kreischend und
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