Ausgesaugt
schiebe ich die Finger unter die Türritze und ziehe und drücke, aber die Tür ist entweder verschlossen oder die Toten sind zu schwer, um sie zu bewegen. Ich nehme die beiden Finger der anderen Hand zu Hilfe und zerre und schiebe. Wenn sie doch nur nachgeben würde.
Zumindest ein bisschen.
Ich brauche nur ein wenig Raum. Und ein bisschen mehr Zeit. Einen kleinen Spalt, um durchzuschlüpfen und mich vom Acker zu machen. Ein letztes Mal. Wenn ich noch ein allerletztes Mal davonkomme, habe ich vielleicht eine Chance. Mag sein, dass ich sie nicht verdiene, doch ich will sie trotzdem.
Die Tür bewegt sich. Nur ein winziges Stück, aber das reicht mir. Ich reiße daran wie verrückt, und die Toten purzeln von mir herunter, als ich mich aufrichte, um den Griff packen zu können. Ziehen, drücken, ziehen.
– Da bist du ja, du Arschloch!
Ich muss mir nicht die Mühe machen, mich umzudrehen. Die Stimme kenne ich nur zu gut – Hurley.
Ich zerre, zerre mit aller Kraft und reiße mir beim Versuch, mich durch den Spalt zu quetschen, fast die Gesichtshaut runter.
– Du Verräterschwein, du!
Bis jetzt hat er mich noch nicht erschossen. Entweder ist ihm die Munition ausgegangen, oder er will mich mit bloßen Händen umbringen.
Jemand auf der anderen Seite drückt gegen die Tür, schiebt die Toten ein Stück zurück. Ich strecke mich, weil sich die spitzen Enden meiner gebrochenen Rippen im Türspalt verkantet haben, Knochen krachen, aber das ist mir egal, weil ich jetzt durch bin, die Monster drüben auf der anderen Seite sind, ich einen Vorsprung vor Hurley habe und mich einfach nur aufrappeln und die Treppe hochrennen muss.
Ich rapple mich auf.
Und erinnere mich, dass mir jemand durch die Tür geholfen hat.
Ich sehe auf. Einer der verhungernden Infizierten steht vor mir. Einer vom Clan namens Heilung, einer der Heuler, die vor ein paar Stunden noch hinter den verschlossenen Türen im Treppenhaus gefangen waren. Einer der vyrus-verrückten Vampyre, die Amanda freiließ, als Predo und seine Leute das Gebäude stürmten.
Das ist wohl die Erklärung, was Predo in den Keller getrieben hat.
Ich versuche, das Amputationsmesser zu ziehen, um es dem hungernden Irren ins Auge zu rammen. Wenn ich Glück habe, kann ich die Verbindung des Gehirns mit dem restlichen Körper durchtrennen, bevor er mir die Gliedmaßen einzeln ausreißt. Leider passiert alles viel zu schnell. Ich kann nicht mal erkennen, ob dieses Wesen als Mann oder Frau geboren wurde; was es in seiner Kindheit mal war: ein Muttersöhnchen oder ein Rotzlöffel, ein kleiner Engel oder eine Nervensäge; was sich in den Jahren des Erwachsenseins bei ihm abspielte. War es ein Penner oder ein Banker? Hat es Liebe oder Hass verspürt? War es ein gnadenloser Jäger und Killer, oder ein hilfloser Infizierter, angewiesen auf die milden Gaben der Koalition? Man mag von der Menschheit halten, was man will, aber dieses Ding gehört definitiv nicht mehr dazu. Es besteht nur aus Hunger und dem damit verbundenen Schmerz, und alles, was keine sofortige Erlösung verspricht, ist entweder ein verhasster Feind oder unsichtbar, je nachdem, ob es ihm im Weg ist oder nicht. Es ist nicht der Geruch meines infizierten Bluts, der es so rasend macht, sondern die Tatsache, dass ich wie Beute aussehe und mich so bewege. Dann ist es auf mir, rammt mir die Füße in den Bauch, beugt sich vor und legt seine Hände um meinen Hals. Als es mein infiziertes, untrinkbares Blut riecht, fängt es an zu heulen.
Ich wehre mich nicht. Meine Arme liegen an den Seiten meines Körpers, das Messer in meiner gesunden Hand.
Es zerquetscht meine Kehle. Ich spüre das Knacken des Knorpelgewebes. Seine Zehen bohren sich wie die Krallen des Vyrus in meinen Bauch. Sein verschrumpeltes, geschlechtsloses Gesicht ist direkt vor mir. Es riecht und schnüffelt. Sein Mundgeruch bringt mich zum Würgen, nur ist da nichts, was ich noch auskotzen könnte; und selbst wenn, würde ich es nicht durch die Kehle bringen, weil ich gerade erwürgt werde. Schwarze Punkte tanzen am Rand meines Gesichtsfelds. Sie werden größer. Es wird dunkler. Meine Hand öffnet und schließt sich um den mit Klebeband umwickelten Griff des Messers. Es ist fast so, als wollte es aus eigenem Willen zustechen.
Die Dunkelheit, die meine Iris von außen nach innen überzieht, verschluckt das Treppenhaus. Ist da etwas in der Finsternis? Es scheint, als bewegt sich etwas im Dunkeln.
Ist da etwas Kaltes, das mich holen will?
Gott, ich hoffe
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