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Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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gebildet und die Waffen nach allen Seiten gerichtet. Auf jeder Seite ist die Formation zwei Reihen tief. Die erste Reihe in der Hocke, die zweite gebückt dahinter. Eins muss man Predo lassen – er hat sich nicht in die Mitte zurückgezogen, sondern steht neben mir am Anfang der Kolonne. Ganz vorne. Wir werden die Ersten sein, die um die Ecke biegen und sich ins Getümmel stürzen.
    In die Schlacht.
    Oder direkt in das Maul des Wurms.
    Predo hält die Hand hoch und nimmt einen Finger nach dem anderen herunter. Muss schön sein, wenn man das mit beiden Händen machen kann.
    Beim ersten Finger erinnere ich mich, wie ich nach meiner Infektion wieder zu Bewusstsein kam. Wie Terry versucht hat, mir alles zu erklären, während ich verzweifelt nach einem Ausgang suchte, um diesem Spinner irgendwie zu entwischen. Er hat nie die Worte Vampyr oder Monster in den Mund genommen. Ich schon. Aus Spaß. Du willst mir sagen, ich wär ein beschissener Vampir? Ja? Scheiße, alles klar, Mann. Ein Monster. Saucool. Und dabei hab ich mich nach etwas umgesehen, das ich ihm über den Schädel ziehen kann. Er hat mir einen geöffneten Blutbeutel hingehalten. Ich dachte, es wäre Maissirup mit roter Lebensmittelfarbe, und wollte nicht unhöflich sein. Doch nach dem ersten Tropfen wusste ich, dass das Ganze kein schlechter Scherz war. Cool, hab ich gedacht. Ich bin wirklich ein beschissenes Monster.
    Beim zweiten Finger denke ich daran, wie ich zum ersten Mal von den Zombies gehört habe. Wieder war es Terry, der mir alles über diese armen Benachteiligten erzählt hat. Ich dachte erst, das wäre nur wieder eine seiner hohlen Phrasen, er würde mir einen Vortrag über die Klassengesellschaft halten und Zombie als Metapher für irgendetwas anderes benutzen. Ich hab’s erst begriffen, als einer auf der Avenue D auftauchte. Damals ging’s dort zu wie in Harlem zu den besten Zeiten, wenn man Digga glauben kann. Am Morgen fuhren die Leichenwagen durchs Viertel, um die Toten in den Rinnsteinen einzusammeln. Manchen hatte man den Schädel eingeschlagen, und niemand hatte große Lust nachzusehen, ob das Gehirn noch da war. Nur Terry. Wir sind auf Patrouille gegangen, haben die Leichen untersucht. Zunächst dachten wir, ein Unabhängiger wäre auf der Jagd. Dann fanden wir einen Typen mit Bissspuren im Gesicht, am Hals und an dem, was von seiner Kopfhaut noch übrig war. Man hatte ihm den Schädel mit einem Radeisen eingeschlagen. Viel war nicht mehr drin. Terry hat die Spur bis zu einem der verlassenen Wohnblocks verfolgt, aus denen unser Territorium in jenen Tagen im Wesentlichen bestand. Der Zombie ist ständig eine Treppe rauf und runter gerannt. Hatte gerade noch genug eigenes Hirn, um sich zu bewegen und zu fressen. Terry hat mir gezeigt, wie man durch einen sauberen Genickbruch die Kommunikation zwischen Gehirn und vegetativem Nervensystem lahmlegt. Er ist einen Schritt zurückgetreten und hat zugesehen, wie das Ding langsam verreckt. Erst die Atmung, dann der Blutkreislauf. Und ich hab mir gedacht: Okay, jetzt weißt du, wie ein beschissenes Monster aussieht.
    Beim dritten Finger denke ich an den Geist. Eine sich windende Masse aus Schwärze und Kälte. Diener der Enklave. Ein Alptraum, mit dem sich die Vampyre gegenseitig erschrecken: Leg dich nicht mit der Enklave an, sonst hetzen sie dir einen Geist auf den Hals. Du lachst über diesen Unsinn, bis du dich irgendwann halbverrückt und kurz vorm Abkratzen in einem Keller wiederfindest und eine Schwärze durch den Raum schwebt, so tief, dass du fast hineinfallen könntest, und sie den Mann tötet, der eigentlich dich töten wollte. Keine Ahnung, was das war, dachte ich damals, vermutlich nur Einbildung, ein böser Alptraum. Doch wenn man in der Mittagszeit wachliegt und nicht schlafen kann und die Sonne gegen die Wände scheint und versucht, selbst durch die kleinsten Spalten zu gelangen, um dich umzubringen, in dieser hellsten und schrecklichsten Stunde des Tages sagt man sich dann: Monster, ich hab ein beschissenes Monster gesehen. Und wenn es wieder Nacht ist, weiß man nicht so recht, was man glauben soll.
    Beim vierten Finger denke ich an das Loch in Queens. Wie ich davor gestanden und in den Schacht runtergestarrt habe, immer tiefer und tiefer und tiefer. Auf jeder Ebene brannten Lichter, und die Lichter wurden immer kleiner und kleiner, bis sie der Abgrund verschluckt hat. Die wächserne Haut eines nackten Mädchens, an deren Arm eine Kanüle genietet ist. Eine Kühlbox gefüllt mit

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