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Ausgesaugt

Ausgesaugt

Titel: Ausgesaugt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlie Huston
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überhaupt sind.
    Sie tippt auf eine der alten Narben an ihrem Handgelenk.
    – Mein Test war negativ. Ich hab kein einziges Fragment in meiner ERV. Durch zufällige Auswahl rausselektiert. Da unterscheide ich mich nicht groß von den meisten anderen Menschen. Die sind nämlich auch vyral negativ. Sonst hättet ihr euch schon wie verrückt verbreitet.
    Sie schaut auf.
    – Man kann das Vyrus riechen. Selbst wenn es inaktiv ist. Also jetzt nicht so, dass man es bewusst wahrnimmt. Eher so unterschwellig . Fast wie ein Pheromon. Was bedeutet, dass jemand, der drauf reagiert, vyral inaktive Personen aufspüren und absichtlich infizieren könnte. Das ist auch da drauf. Was nicht drauf ist...
    Sie tippt auf den USB-Stick.
    – ... ist eine Probe. Ist ja klar. So ein aggressiver Replikator wie der hier brennt den Wirt einfach aus. Ich hab nur totes Gewebe, aber keine lebende Probe. Dafür ist ein Adressbuch hier drauf. Ich und Sela haben alle, die sich uns anschließen wollten, ausgefragt. Klar, das war jetzt echt nicht der Plan oder so, aber jetzt hab ich eine Liste von Verstecken, Clan-Hauptquartieren, Schlupflöchern und Treffpunkten, von so ziemlich allen Orten, an denen jemand, der einen Vampyr finden will, gute Chancen hat, einen lebenden zu fangen.
    Sie zuckt mit den Schultern.
    – Das ist jetzt keine Drohung oder so, weil mir das alles inzwischen voll egal ist, aber das ist nun mal da drauf.
    Sie schließt die Augen.
    – Nur kein Heilmittel.
    Sie legt die Hand auf den USB-Stick.
    – Kein Heilmittel.
    Sie öffnet die Augen wieder.
    – Leider nicht.
    Sie betrachtet wieder Selas Leiche.
    – Tut mir leid, Baby.
    Sie sieht mich an.
    – Joe. Du hast meine Mom getötet?
    Ich nicke.
    – Sie hat mich drum gebeten.
    Sie verzieht die Mundwinkel.
    – Man muss dich nur drum bitten?
    Ich schüttle den Kopf.
    – Nein.
    Sie hebt die Hand.
    – Joe.
    Ich schüttle erneut den Kopf.
    – Ich würde dir ja gerne helfen, Kleines. Ich versteh das ja alles, aber...
    Ich starre in die Whiskeyflasche in meiner Hand.
    – Ich hab nur nicht das Zeug dazu.
    Sie beißt sich auf die Oberlippe.
    – Ist schon okay, Joe. Liebe ist schwierig.
    Sie schaut wieder zu Sela.
    – Echt schwierig.
    Dann sieht sie wieder mich an.
    – Wir kennen uns jetzt schon so lange.
    Sie stellt das Fläschchen neben den USB-Stick auf den Schreibtisch.
    – Ich könnte dich auch nicht töten.
    Sie zieht die Waffe aus dem Laborkittel.
    – Tust du mir einen Gefallen ?
    – Klar.
    Sie deutet mit der Waffe auf die anderen im Raum.
    – Diese Arschlöcher.
    Sie nimmt das Fläschchen wieder in die Hand.
    – Sieh zu, dass sie das nicht kriegen.
    Sie wirft es mir zu, und ich fange es ungeschickt mit der kaputten Hand und muss es gegen die Brust drücken, damit es nicht auf den Boden fällt.
    Sie nickt.
    – Das ist nur für dich.
    Dann sieht sie Sela an.
    – Und pass auf, dass keiner an mein Blut geht.
    Sie hält sich die Mündung der Waffe unter das Kinn.
    – Und das ist auch für dich.
     
    Manchmal frage ich mich, wo die Grenze dessen liegt, was man ertragen kann. Ob es im Gehirn wohl einen kleinen Zeiger gibt, der langsam in den roten Bereich wandert? Auf dem man ablesen kann, wann das Maximum dessen, was man aushalten kann, erreicht ist? Blut und Wahnsinn und Tod und Grausamkeit. Alles fließt in dich rein. Und irgendwann quillt es über, überflutet das ganze System, und dann ist Schluss.
    Das habe ich mich schon des Öfteren gefragt.
    Amandas Mutter hat mich wirklich darum gebeten, sie zu töten, und ich hab’s getan. Das war nicht gelogen. Sie wollte es so, weil sie krank war und Amanda getötet hätte, wenn sie niemand aufgehalten hätte. Daher kann man mit Fug und Recht behaupten, dass ich Amandas Mutter getötet habe, um Amanda das Leben zu retten.
    Das Ganze erscheint mir wie bittere Ironie.
    Während ich hier so sitze.
    Ich tue Amanda nicht den Gefallen, sie zu töten, damit sie das ganze Elend, das sie in ihrem kurzen Leben mitangesehen und verursacht hat, nicht mehr länger ertragen muss. Stattdessen sehe ich zu, wie sie das selbst erledigt.
    Sie hat ihre Grenze erreicht. Eindeutig.
    Obwohl ihr Blut und Wahnsinn ja praktisch in die Wiege gelegt wurden, hat sie doch ziemlich viel einstecken können, bevor sie in den roten Bereich kam. Mit der Kugel, mit der sie ihre Geliebte getötet hat, hatte sie ihre persönliche Grenze überschritten. Mehr konnte sie nicht einstecken und weiterleben.
    Ich hätte ihr ja gerne geholfen. Hätte es ihr gerne

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