Ausgesetzt
dass sie den Tränen nahe war.
»Das ist schon das zweite Mal, dass etwas keinen Sinn ergibt«, erinnerte er sie. »Und da ist noch etwas. Ist dir aufgefallen, dass der Tankdeckel offen war?«
»Und?«
»Der Schraubverschluss fehlte. Zuerst dachte ich, er wäre weggeflogen. Ich habe überall danach gesucht.«
»Vielleicht ist er ja im See gelandet«, sagte sie. »Wie wär’s, wenn du mir ein bisschen Angst einjagen würdest?«
Sie ergriff ihre Krücken, stand auf und ging weg.
»Wo gehst du hin?«
»Mein Auto anschauen.«
Carl hatte es neben der Werkstatt abgestellt. Viel gab es nicht mehr zu sehen.
Viertel nach sechs schaukelte der Bus endlich heran. Walker und Krista machten Zeichen. Der Bus hielt mit einem zornigen Zischen der Druckluftbremsen auf dem Bankett an, und die Tür schwang auf.
Krista eilte zum Bus. Walker ging neben ihr und trug den Korb und das Badetuch.
Als sie bei der offenen Tür angelangt waren, drehte sie sich zu ihm um. Wieder sah sie besorgt aus. »Bist du sicher, dass du dableiben willst?«
Walker nickte. So leicht gab er die Sache mit Mary’s Point nicht auf.
»Behalt das Tuch«, sagte sie.
Er beugte sich hinunter und küsste sie, obwohl er das gar nicht vorgehabt hatte. Sie küsste ihn wieder, presste ihren Mund auf den seinen, bedeckte seinen Mund mit dem ihren. Dann wandte sie sich ab, und er half ihr die hohen Stufen hinauf und reichte ihr den Korb.
»Was für ein Tag, Walker«, sagte sie, während die Tür zuging.
Der Bus fuhr an. Durch die dunklen Scheiben konnte er sie nicht sehen, konnte nicht sehen, wie sie sich den schwankenden Gang entlang zum ersten freien Platz vorarbeitete, aber er konnte es sich vorstellen.
Er sah zu, wie der Bus davonfuhr, dann ging er in die entgegengesetzte Richtung, am letzten Haus in Schuler vorbei, an der kleinen Schindelkirche und dem Friedhof von Schuler. Er schlug dieselbe Kiesstraße ein, die Carl fünf Stunden vorher auf dem Weg nach Schuler genommen hatte, und marschierte zurück zu Mary’s Point.
Noch immer schmeckte er Krista auf seinen Lippen.
Krista Papadopoulos. Sie schwebte vor ihm, während er ging, tanzte vor seinen Augen. Nur, dass sie nicht schweben konnte, höchstens in ihrem Rollstuhl. Nur, dass sie nicht tanzen konnte, außer in ihrer Phantasie.
Walker begann zu laufen. Er rechnete sich aus, dass er etwas mehr als sechs Kilometer vor sich hatte. Auf dem Weg kam er an der geschwärzten Stelle vorbei, an der Kristas Wagen gestanden hatte. Als er den Weidezaun erreicht und die Scheune umrundet hatte, war es fast acht. Der Himmel hatte sich von fahlblau zu königsblau verfärbt, und nun überzog ein rosiges Glühen sein dunkler werdendes Antlitz.
Mary’s Point lag tief im Schatten, nur die Baumwipfel wurden noch von einem letzten roten Schein erhellt.
Walker marschierte ein kleines Stück den Strand entlang, weg von der Landspitze. Das Lüftchen hatte sich gelegt, und kleine Wellen schwappten über den kalten Sand.
Er kletterte zwischen zwei Sanddünen hinauf, wo das hohe Gras anfing, kniete sich hin und grub seine Hände in den Sand hinein. Ganz schwach spürte er noch den Rest der Hitze des Tages auf seiner Haut. Sein Blick glitt über die im schwindenden Licht kaum sichtbare Grasebene und die Umrisse der Rohrkolben dahinter.
Der Mond hatte im Westen Gesellschaft vom Abendstern bekommen. Eigentlich kein Stern, sinnierte Walker, sondern die Venus. Die geheimnisvolle Venus, von hauchdünnem Dunst umhüllt.
Er breitete das Badetuch aus, setzte sich darauf und drehte sich eine Zigarette. Er würde bis zum nächsten Morgen warten und dann dem Ufer rund um die Landspitze folgen.
Ein Reiher flog träge über seinen Kopf, das Ufer entlang, auf dem Weg zu einer dunklen Zuflucht für die Nacht.
Walker kehrte einem plötzlich auffrischenden Wind den Rücken, zündete ein Streichholz an und inhalierte den scharfen Rauch. Er hatte nur ein leichtes Baumwollhemd am Leibe, seine Jeans und seine Stiefel. Plötzlich war die Luft kalt. Wenn er schläfrig wurde, würde er sich in das Badetuch einrollen. Wenn er mehr Wärme brauchte, konnte er etwas von dem wild wachsenden Gras um ihn herum anhäufen und darunter kriechen.
»Walker weiß sich zu helfen«, hatte Mary Louise eines Tages, kämpferisch in ihrer Küche stehend, einer ihrer Freundinnen verkündet. Walker konnte sich nicht mehr erinnern, warum sie es gesagt hatte, warum sie es in jenem Augenblick für notwendig gehalten hatte, ihn in Schutz zu nehmen.
Er war
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