Ausgesetzt
auf den Steg in das gleißende Sonnenlicht. Trotz der ausgedehnten Fläche schwarzen Wassers, die vor ihm glitzerte, war es heiß hier, heißer als unter den Bäumen, und ganz bestimmt heißer als in dem hohen, mit Schindeln verkleideten Ferienhaus, das jenseits der Straße auf der Anhöhe hinter ihm stand.
Bobby wollte den Steg nach vorn gehen, auf die
Chestnut Alley
klettern und seinem Vater helfen. Aber er konnte nicht. Sein Vater würde ihn wieder mit diesem Blick ansehen. Der Blick, der ihm angst machte. Es lag kein Zorn darin, keine Geringschätzigkeit, kein Ekel. Nicht richtig. Es war, als könne sein Vater direkt durch ihn hindurchsehen, so einfach wie durch Luft. Als könne sein Vater ihn allein kraft seines Willens auf ein Nichts reduzieren, so dass nur mehr ein leicht unangenehmer Geruch übrigblieb. Die Kälte dieses Blicks ließ ihn bis ins Innerste erstarren.
Bobby saß an der Stegkante und blickte über das Wasser. Das Ufer in der Ferne war kein Seeufer sondern eine Reihe kiefernbewachsener Inseln. Dahinter gab es noch mehr Wasser. Und es war kein See, sondern ein Fluss.
Bobby hasste den Fluss. Er war zu kalt, und außerdem war er mächtig. Wenn er in das schwarze Wasser watete, was nicht sehr oft vorkam, zog die Strömung an seinen Beinen, unerbittlich, hypnotisch.
Die
Chestnut Alley
strahlte in der Sonne. Sie war auf Hochglanz poliert und glühte dunkelrot und bronzefarben. Bobby hörte, wie das Wasser gegen die Längsseite des schlanken, niedrigen Schiffsrumpfs klatschte. Sie schmiegte sich säuselnd an die gepolsterte Kante des Stegs. Die
Chestnut Alley
, alt und vornehm, war mit großer Sorgfalt im Winter 1926 in der örtlichen Werft gebaut worden.
Bobbys Vater hatte noch ein Segelboot und ein Rennboot, aber dieses Schiff war das einzige, an dem ihm wirklich etwas lag. Es war aus Teak, Rosenholz und Mahagoni und hatte elegante Samtsitze. Die von dem großen glänzenden Chrysler-Motor angetriebenen Doppelpropeller schoben es mit tiefem Brodeln auf dem kaum gekräuselten Wasser voran. Wenn es an den Steg fuhr, tuckerte der Motor, so dass Bobby das sanfte Vibrieren des Schiffs in jedem einzelnen Knochen spüren konnte.
Sein Vater nannte die
Chestnut Alley
und die Wilden Zwanzigerjahre immer in einem Atemzug. Bobby hatte nicht die blasseste Ahnung, wovon sein Vater sprach, aber dieses Boot zu steuern, machte seinen Vater glücklich, und deshalb machte es Bobby glücklich, dabei zu sein, wenn sein Vater das Schiff steuerte.
In letzter Zeit jedoch, obwohl er immer noch daran herumbastelte, sooft er sich in Toronto freimachen konnte, fuhr sein Vater nur mehr selten mit dem Boot hinaus. Und wenn er es tat, dann allein.
Der Vater hatte sein Werkzeug sorgfältig neben sich auf einer Werkzeugschürze aus Leder und Stoff ausgebreitet. Jetzt hob er den Kopf und streckte die ölverschmierte Hand nach etwas aus. Bobby sah das zwar, konnte aber nicht erkennen, welches Werkzeug sein Vater brauchte. Der merkte, dass sein Sohn auf dem Steg saß, gleich hinter dem auf und ab wippenden Bug. Einen Augenblick sah er ihn an, dann durch ihn hindurch, schließlich steckte er den Kopf wieder zum Motor hinunter und werkelte weiter.
Nun war es Bobby nicht mehr so heiß. Seine Beine fühlten sich kalt an unter den Jeans. Er wünschte, er würde sich näher herantrauen. Möglicherweise sagte sein Vater den Namen eines bestimmten Werkzeugs, das er gerade benötigte, laut vor sich hin, und er, Bobby, wüsste genau, welches er ihm reichen musste. Sein Vater würde lächeln. Es wäre ein warmes und zugleich angenehm überraschtes Lächeln. Er würde sagen: »Danke, Robert.«
Bobby blieb, wo er war. Er konnte nicht riskieren näherzukommen. Er überlegte, statt dessen schwimmen zu gehen. Vielleicht würde er untertauchen. Dann müsste sein Vater nach ihm suchen. Er bekäme Angst. Er würde auf und ab laufen. Wohin ist Bobby verschwunden? Wohin ist mein Sohn verschwunden?
Ein Junge, dessen Familie zwei Häuser weiter unten am Fluss wohnte, hüpfte das Ufer entlang von Felsen zu Felsen. Er hieß Alex Johnson. Bobby kannte seinen Namen, auch wenn der Junge erst zehn Jahre alt war. Jeder kannte seinen Namen. Er war eben eins von diesen Kindern. Er verschwand hinter dem Bootshaus, tauchte wieder auf und sprang hinunter auf den Steg.
»Hi«, sagte er.
Bobby sah ihn an. Das schweißnasse blonde Haar klebte ihm auf Stirn und Nacken. Sein Gesicht war immer voller Erwartung, er hatte immer etwas vor. Sein magerer,
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