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Ausgesetzt

Ausgesetzt

Titel: Ausgesetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James W. Nichol
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Treppen zum ersten Stock empor. Wenn seine Eltern im Oktober 1979 hier übernachtet hatten – wenn sie mit ihm hier übernachtet hatten –, wo wäre am ehesten ein Beweis für ihren Besuch zu finden? Dort, wo sie ihre Koffer ausgepackt und ihre persönlichen Sachen untergebracht hatten? In einem Schlafzimmer?
    Im ersten Stock war es zwar dunkler als im Erdgeschoss, doch rund um die Bretter, mit denen das Fenster im oberen Flur vernagelt war, fielen dünne Lichtstrahlen herein. Walker tastete sich die Wand entlang und schaute in eines der Schlafzimmer. Das Rollo war heruntergezogen, aber an seinen Rändern leuchtete schwaches Sonnenlicht.
    Er tastete sich weiter, in das Zimmer hinein, und zog das Rollo hinauf. In den einfallenden Lichtstreifen wirbelten Staubkörnchen. Durch die Schlitze sah er die kahlen Zweige des Ahorns vor dem Fenster. Der rosa Cadillac parkte noch immer unten. Aber daneben stand jetzt noch ein Wagen.
    Walker starrte die schnittige schwarze Silhouette an. Irgendwie kam ihm der Wagen bekannt vor. Mary’s Point … das Auto, das wegfuhr, nachdem Kristas Wagen in Brand geraten war. Der neue Audi.
    Rasch wandte sich Walker um und lauschte. Das Haus knarrte noch immer im Wind. Er bemühte sich, ein Knarren vom anderen zu unterscheiden, horchte, ob Schritte über die Treppe auf ihn zukamen. Wenn es nur einen Weg ins Haus hinein gab, dann gab es auch nur einen wieder hinaus.
    Sein erster Impuls, der Impuls eines Kindes, war, sich zu verstecken. Aber warum? Warum sollte er sich verstecken? Zorn überwand seine Furcht. Es war eine Erleichterung, Zorn verspüren zu können.
    Ohne sich die Mühe zu machen, seine Schritte zu dämpfen, verließ er das Zimmer, kehrte über den Flur zur Treppe zurück und lauschte wieder. Noch immer hörte er nichts anderes als das Rauschen des Windes und das Knarren des Hauses. Er stieg die Treppe hinunter.
    Auf halber Höhe konnte er im Dämmerlicht der Diele ein Paar elegante, glänzende Schuhe und scharf gebügelte Hosenfalten ausmachen. Mit jeder Treppenstufe konnte er mehr erkennen. Das Sakko. Die Krawatte. Die runde Nickelbrille. Der Mann, der ihn gestoßen und erzählt hatte, dass er kein Nuremborski sei und nie einer sein würde, stand unter ihm.
    Der Riese stand unbeweglich da und starrte zu Walker hoch. Walker blieb auf der Treppe stehen. Er hielt ein paar Stufen Abstand zwischen sich und dem Mann.
    »Sie waren in Mary’s Point«, sagte Walker, und seine Stimme hallte ein wenig durch das Haus. »Sie haben das Auto meiner Freundin abgefackelt.«
    Der Mann verzog keine Miene und rührte sich nicht.
    Walkers Muskeln spannten sich an, Adrenalin schoss ihm durch den Körper. Kampf oder Flucht? Wofür würde er sich entscheiden?
    Die Sekunden gingen dahin. Walkers Gegenüber unterbrach als erster den Blickkontakt und fing an, sich Staub vom Sakko zu bürsten. Auf einmal wirkte er ein wenig nervös. »Ich hab auch den Brief und das Foto gestohlen«, sagte er. »Nicht gerade mein Hauptaufgabengebiet.«
    »Sie haben auch meinen Kater umgebracht«, sagte Walker.
    »Mir war nicht klar, dass es Ihrer war.« Er sah zu Walker hoch und lächelte dünn. »Ich dachte, er hätte
Sie
adoptiert.«
    Walker blieb, wo er war. »Und was ist dann Ihr Hauptaufgabengebiet?«
    »Gute Frage«, antwortete der Mann. »Es wird anscheinend immer größer. Gehört schon fast alles dazu.« Er blickte Walker durchdringend an. Walker schwieg.
    »Ich bin Privatsekretär von Mr. Nuremborski. Schon seit Jahren. Ich heiße Chester Simmons. Kommen Sie doch runter, damit wir uns unterhalten können.«
    »Worüber?«, fragte Walker. Jetzt erst bemerkte er, dass der Mann eine dünne Ledermappe in der Hand hatte.
    »Über Ihr Erbe«, sagte der Mann. »Wir brauchen mehr Licht.«
    Er wandte sich um und ging über den Flur in den hinteren Teil des Hauses. »Schauen wir, dass wir’s hinter uns bringen.«
    Walker kam die letzten paar Stufen herunter und sah zu, wie Simmons in der Küche verschwand. Einen Augenblick später tauchte er mit zwei Stühlen in der Hand wieder auf. Er stellte sie im Flur an eine sonnige Stelle neben der offenen Hintertür.
    »So ist’s besser«, meinte er.
    Langsam ging Walker zu ihm. Der Mann setzte sich auf einen der Stühle. Walker blieb stehen.
    »Wenn Sie sich hinsetzen, werde ich Ihnen alles erklären.«
    Walker nahm den anderen Stuhl, drehte ihn herum und setzte sich. Auf diese Art konnte er rasch genug aufstehen und mit dem Stuhl in der Hand dem Mann ordentlich eins über

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