Ausgesetzt
sagte, wenn sie sich noch einmal blicken ließe, würde er dafür sorgen, dass sie im Gefängnis landete.«
Walker stand auf und lehnte sich an die Wand. Das Haus neigte sich wie ein Schiff mit Schlagseite. Er schloss die Augen.
»Aber, wie Sie selbst am besten wissen, Walker, ist sie nicht einfach weggegangen. An diesem Nachmittag rief sie Robert an und sagte ihm, dass sie sich seines Kindes an einer Straße entledigt hätte. Sie sagte ihm, wo und dass er sich jetzt etwas einfallen lassen müsse, denn sie und ihr Freund würden verschwinden: Ziel unbekannt.«
Walker ging ans andere Ende der Diele und lehnte sich dort, mit dem Rücken zu Simmons, an die Wand.
Der Mann musste ein wenig lauter sprechen, damit Walker ihn hören konnte, aber er blieb auf seinem Stuhl sitzen.
»Jake fragte Robert, was es mit dem Anruf auf sich habe, Robert sagte es ihm, und Jake fragte noch einmal, ob er die Wahrheit gesagt habe, ob der kleine Junge tatsächlich nicht sein Sohn sei. Robert schwor, dass es wahr sei. Jake sagte: ›Vergiss, dass sie überhaupt da war. Lass dich auf nichts ein. Irgend jemand wird dieses Kind schon finden.‹ Er kann sehr hart sein, unser Mr. Nuremborski, wenn er will.«
»Ja«, sagte Walker.
»Robert fing an zu trinken, trank den ganzen Tag weiter und fuhr schließlich los, um Sie zu suchen. Aber er hat Sie nicht gefunden. Entweder hatte sie schon jemand anderer mitgenommen, oder er war so betrunken, dass er nicht mehr genau wusste, wo er suchen sollte. Laut Jake kam er halbirr zurück. Er schrie den Alten an, wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben, und dann torkelte er zum Fluss hinunter. Als es dunkel wurde, begann Jake, sich Sorgen zu machen. Er nahm eine Lampe und machte sich auf die Suche nach ihm.«
Walker hörte, wie der Mann jetzt aufstand.
»Er fand Robert am Fuß einer Klippe neben dem Fluss. Entweder war er gesprungen oder gefallen.«
Walker drehte sich um. Simmons stand neben seinem Stuhl, immer noch neben der offenen Tür, halb in der Sonne, halb im Dämmerlicht der Diele.
»Er ist der Mann im Rollstuhl«, sagte Walker.
»Ja, er ist der Mann im Rollstuhl. Gelähmt, nur seine Hände kann er noch ein bisschen bewegen. Sein Gehirn hat schwer gelitten. Ein Pfleger kümmert sich um ihn. Er ist bei uns, aber nicht bei uns, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Er öffnete die Mappe und zog ein paar Seiten sauber betipptes Papier heraus. Es sah aus, als leuchteten sie in der Sonne.
Walker regte sich nicht. »Wenn mein Großvater Ihnen befohlen hat, bei mir einzubrechen, muss er schon gewusst haben, wer ich bin, bevor ich bei ihm vor der Tür stand. Wie hat er das angestellt?«
»Ja, wie wohl?«, erwiderte Simmons. »Es ist schon Jahre her, da rief mich Ihr Großvater in sein Büro und bat mich um einen persönlichen Gefallen. Ich sollte mich als Journalist ausgeben, der einen Hinweis bekommen hatte, ein ausgesetztes Kind sei an einer Straße in der Nähe von Sudbury gefunden worden. Ich habe mich mit der dortigen Polizei in Verbindung gesetzt und erfahren, dass man Sie der Fürsorge in Sudbury übergeben hatte. Im Laufe der Jahre habe ich mich mit einer Freundin von Ihnen angefreundet.«
»Mit wem?«
»Mit Heather Duncan.«
Simmons setzte sich wieder und rückte die Mappe und das Papier auf seinen Knien zurecht. »Kommen Sie jetzt bitte und setzen Sie sich. Sozialarbeiter verdienen nicht viel, Walker. Sie müssen an ihre Rente denken.«
Walker blieb, wo er war. »Heather Duncan?«
»Wir bekamen jedes Jahr einen Bericht von ihr. Ich hatte ihr alles erklärt, natürlich ohne Namen zu nennen. Ich gab mich als Anwalt aus. Ich bin ein Mann mit vielen Berufen. Ich erzählte ihr, dass mein Klient sich irgendwie für Sie verantwortlich fühle, weil, nach dem, was sein Sohn an jenem Tag getan hatte, ja doch die Möglichkeit bestünde, dass Sie sein Enkel seien. Aber er hatte gar kein Interesse an einem zweiten Enkel. Einem unehelichen. Trotzdem wollte er Ihnen finanziell unter die Arme greifen können, falls Sie es jemals brauchen sollten. Heather Duncan hat Ihnen einen Gefallen getan.«
Walker kam die Diele zurück. Ihm war schwindlig. »Was hat sie Ihnen erzählt?«
»Alles. Wo Sie in Sudbury wohnten, wie Sie nach Thunder Bay gezogen sind, alles über die Devereaux’ in Big River. Sie ist doch immer mit Ihnen in Verbindung geblieben, nicht?«
Walker nickte. Ihm war schlecht.
»Sie hat mir erzählt, dass Sie letztes Jahr nach Sudbury gekommen sind, um Einsicht in Ihre Akte zu
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