Ausgespielt
gönnte mir eine schöne heiße Dusche und versuchte dann mein Möglichstes, um die Vorhänge ganz vors Fenster zu ziehen. Sie bestanden aus einem schweren Synthetikmaterial, waren dunkelrot und geschmackvoll mit Flocken besetzt. Neben der Vinyltapete mit ihren silbernen und schwarzen Blitzen ergab sich eine höchst erstaunliche dekorative Gesamtwirkung. Ich zog die pinkfarbene Chenille-Tagesdecke beiseite und legte mich ins Bett, ehe ich das Licht löschte, und schlief wie eine Tote.
Irgendwann versetzte mir mein Unterbewusstsein einen Stups.
Ich erinnerte mich, wie Reba mir erzählt hatte, was für ein Genie Misty beim Herstellen falscher Pässe und anderer Papiere war.
Hatte sie sich deshalb mit diesem Mann im Silverado getroffen?
Noch im Schlaf beschlich mich eine vage Angst. Vielleicht hatte Reba vor, sich abzusetzen.
Am nächsten Morgen um zehn klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab und legte ihn mir ans Ohr, ohne den Kopf zu 365
bewegen. »Was.«
»Kinsey, hier ist Reba. Habe ich Sie geweckt?«
Ich drehte mich auf den Rücken. »Keine Sorge. Ich bin froh, dass Sie anrufen. Wie geht’s Ihnen?«
»Ganz gut, bis ich erfahren habe, dass Sie hier sind. Wie haben Sie mich gefunden?«
»Ich habe nicht Sie gefunden, sondern Misty.«
»Und wie haben Sie das gemacht? Würde mich echt
interessieren.«
»Detektivarbeit, meine Liebe. Das ist mein Beruf.«
»Puh. Das wundert mich aber.«
»Was?«
»Ich dachte, Pop hat Sie nur engagieren können, weil Sie nicht gut sind. Sie hatten ja wohl nichts zu tun, sonst hätten Sie kaum einen solchen Idiotenjob angenommen, oder? Seine Tochter vom Gefängnis abholen? Sie können nicht seriös sein.«
»Danke, Reba. Wirklich nett von Ihnen.«
»Ich sage doch, dass ich mich geirrt habe. Ehrlich gesagt war ich total geschockt, als mir Misty erzählt hat, dass Sie aufgetaucht sind. Mir ist immer noch schleierhaft, wie Sie das geschafft haben.«
»Ich habe da so meine Methoden. Ich hoffe, Sie rufen aus einem wichtigeren Grund an, als mich dazu zu
beglückwünschen, dass ich nicht ganz so inkompetent bin, wie Sie dachten.«
»Ich muss mit Ihnen reden.«
»Sagen Sie mir, wann und wo, und ich komme sofort.«
»Wir sind bis Mittag bei Misty.«
»Toll. Geben Sie mir die Adresse, und ich bin im
Handumdrehen da.«
»Ich dachte, Sie hätten die Adresse schon.«
366
»So perfekt bin ich wohl doch nicht«, erwiderte ich, obwohl ich es selbstverständlich war. Sie rasselte die Adresse herunter, und ich gab vor, sie mir zu notieren.
Nachdem wir aufgelegt hatten, stand ich auf und trat ans Fenster. Ich zog die Vorhänge auf und zuckte vor der stechenden Wüstensonne zurück. Mein Zimmer ging auf die Rückseite eines anderen schäbigen zweistöckigen Motels hinaus, und so gab es nicht viel zu sehen. Die Stirn gegen die Scheibe gelehnt, betrachtete ich das leuchtende Neonschild an dem Kasino ein Stück die Straße hinunter, das nach wie vor einladend blinkte. Wie konnte irgendjemand um diese Uhrzeit trinken oder spielen?
Ich putzte mir die Zähne und duschte erneut, um schneller in die Gänge zu kommen. Als ich angezogen war, setzte ich mich auf die Bettkante und rief bei Rebas Vater an. Freddy sagte ihm, dass ich am Apparat war, und er nahm den Anruf in seinem Zimmer entgegen. Er klang angeschlagen. »Ja, Kinsey? Wo sind Sie?«
»Im Paradise. Das ist ein Motel in Reno. Ich wollte Sie nur auf den neuesten Stand bringen. Reba hat vor ein paar Minuten angerufen. Ich fahre jetzt zu Misty, um mit ihr zu reden.«
»Dann haben Sie sie also gefunden. Das freut mich. Und schnell ging es auch.«
»Jemand hat mir Mistys Adresse gegeben, ehe ich aus Santa Teresa abgereist bin. Ich habe das Haus stundenlang beobachtet, aber zunächst nicht vermutet, dass Reba sich dort aufhält. Misty hat eine viel versprechende Stelle als Nackttänzerin in einem Striplokal namens Flesh Emporium. Ich bin ihr zu ihrem Arbeitsplatz gefolgt und habe vor ihrem Auftritt mit ihr geplaudert. Auf meine Frage nach Reba hat sie nicht mit der Wimper gezuckt, sondern einen heiligen Eid darauf geschworen, dass die beiden seit Weihnachten keinen Kontakt mehr gehabt hätten. Ich habe ihr die Nummer meines Motels gegeben, und 367
auf einmal hat Reba angerufen.«
»Hoffentlich können Sie sie dazu überreden, wieder nach Hause zu kommen.«
»Hoffe ich auch. Wünschen Sie mir Glück.«
»Rufen Sie mich an, wann immer Sie wollen. Ich bin Ihnen für Ihre Bemühungen sehr dankbar.«
»Freut mich, wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher