Ausgespielt
ihre Einfahrt ein, stellte den Wagen ab, ging zur Haustür und verschwand im Haus.
Das Außenlicht erlosch. Einen Moment lang war ich schwer in Versuchung, in mein Motel zu fahren und ins Bett zu kriechen.
Bestimmt würde sich auch Misty für den spärlichen Rest der Nacht zur Ruhe begeben. Ich war müde, mir war langweilig, und ich hatte schon wieder Hunger. Ich träumte von einem Frühstück in einem 24-Stunden-Coffee-Shop: Orangensaft, Rührei mit Speck, gebutterter Roggentoast mit
Erdbeermarmelade. Und dann schlafen. Es hatte ja nie eine Garantie dafür gegeben, dass Reba in Reno war. Ich war aufs Geratewohl hierher gefahren, weil es angesichts dessen, was ich von ihr wusste, nahe liegend erschien. Misty und Reba hatten auf jeden Fall Kontakt gehabt – warum hätte Mistys Nummer sonst auf Nord Laffertys Telefonrechnung auftauchen sollen?
Doch das war keine Antwort auf die Frage, wo sich Reba momentan aufhielt. Ich setzte mich auf und starrte auf Mistys halb im Dunkeln liegendes Haus und den schmalen
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Lichtstreifen, der unten am Garagentor verlief.
Warum parkte sie in der Einfahrt, wenn sich direkt am Haus eine Garage befand? In einem dieser unerwarteten Geistesblitze begriff ich endlich das Offensichtliche. Wenn Misty allein lebte, brauchte sie wohl kaum zwei riesige Tüten Lebensmittel und eine Stange Zigaretten. Die Lebensmittel konnten vielleicht noch ihren gesamten wöchentlichen Bedarf umfassen, doch die Frau rauchte nicht. In der Zeit, die wir uns unterhalten hatten, hätten die meisten Raucher einen Grund gefunden, um sich eine anzustecken. Vor allem aber war es dieser schmale Lichtstreifen unten am Garagentor, der mich neugierig machte. Ich stieg aus und überquerte die Straße.
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Zuerst inspizierte ich die Garagenfenster. Risse in der braunen Farbe, die die Scheiben bedeckte, gaben den Blick auf ein provisorisches Gästezimmer frei: ein Stuhl, eine Kommode, ein Doppelbett und eine Lampe auf einem Beistelltisch, der aus einem umfunktionierten Pappkarton bestand. Das zerwühlte Bett ließ darauf schließen, dass es erst kürzlich benutzt worden war, genau wie der rote Baumwollpullover, der nachlässig am Fußende lag und in dem ich Rebas Eigentum erkannte. Ein grauer Hartschalenkoffer lag offen neben der Kommode auf dem Fußboden. Die Reisetasche, aus der Kleidungsstücke hingen, stand offen auf dem Stuhl.
Wie schon zuvor drehte ich eine Runde um das Haus. Der Schnappriegel an dem hölzernen Tor ließ sich fast lautlos bewegen, als ich den Garten betrat und auf das erleuchtete Fenster zuging. Ich duckte mich und kam gebückt wieder etwas höher, so dass ich über das Fensterbrett linsen konnte. Reba und Misty saßen mit dem Rücken zu mir am Schreibtisch. Ich konnte nicht erkennen, was sie machten, und ihre Stimmen waren zu gedämpft, um das Gesprächsthema herauszuhören, doch fürs Erste genügte mir das Wissen, dass Reba in Reichweite war.
Nun musste ich mich entscheiden: Wagte ich es, in mein Zimmer zurückzufahren, ohne die beiden zur Rede zu stellen?
Ich sehnte mich nach Schlaf, fürchtete jedoch, dass eine von ihnen oder gleich alle beide verschwunden wären, wenn ich bis zum Morgen wartete. Freilich stünde ich jedes Mal, wenn ich Reba aus den Augen ließ, vor dem gleichen Dilemma, doch im Moment widerstrebte es mir, den einzigen Vorsprung
aufzugeben, den ich hatte, nämlich, dass ich wusste, wo sie war, sie aber keine Ahnung hatte, dass ich es wusste.
Zum Glück sammelte Misty nun die Sachen auf, die sie 364
gemeinsam inspiziert hatten, und schob sie in die
Versandtasche, die ich schon zuvor gesehen hatte. Reba verließ den Raum, gefolgt von Misty, die beim Hinausgehen das Licht ausmachte. Ich schlich wieder zur Vorderseite des Hauses und verbarg mich im Schatten der immergrünen Eichen. Zehn Minuten später ging das Licht im Wohnzimmer aus. Leise tappte ich am Haus entlang zur Einfahrt. Nachdem weitere fünfzehn Minuten verstrichen waren, verschwand auch der Lichtstreifen unter dem Garagentor. Meine beiden Küken hatten sich zur Ruhe gelegt.
Durch eine hellwache, aber stille Stadt fuhr ich zu meinem Motel zurück. Die Sonne würde erst in einer guten Stunde aufgehen, doch der Himmel hatte bereits eine perlgraue Färbung angenommen. Ich parkte, stieg in den ersten Stock und schloss die Zimmertür auf. Das Zimmer war trist, aber einigermaßen sauber, solange man kein Schwarzlicht einsetzte oder auf allen vieren mit einem Vergrößerungsglas herumkroch. Ich zog mich aus,
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