Ausgespielt
Läden lagen im Dunkeln. In den großen Kasinos herrschte nach wie vor Hochbetrieb. Misty hielt vor dem Eingang zum Silverado Hotel. Die breite Markise, die sich über die achtspurige Straße zog, war so dicht mit Glühbirnen besetzt, dass die Luft vor künstlicher Hitze zu vibrieren schien. Misty stieg aus und reichte einem Parkwächter ihren Autoschlüssel.
Die große Glastür ging automatisch auf und zu, als sie darauf zuging und drinnen verschwand.
Zwischen ihrem Wagen und meinem warteten zwei andere Fahrzeuge. Ich sprang heraus und warf meine Schlüssel einem verdrossen blickenden Parkwächter zu, der gerade mit einem Kollegen plauderte. »Könnten Sie den Wagen in der Nähe abstellen? Es sind zwanzig Dollar für Sie drin. Ich brauche nicht lang.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, trabte ich auf die Eingangstür zu, betrat die weitläufige Halle, die zu dieser Stunde fast menschenleer war, und blickte mich rasch um. Misty war nirgends zu sehen. Sie hätte in einem bereitstehenden Aufzug, in der Damentoilette zu meiner Rechten oder im Kasino direkt geradeaus verschwunden sein können. Für eines davon musste ich mich entscheiden. Als ich das Kasino betrat, legte sich Rauch um mich wie eine zarte Mantille. Die silberhellen Klingel- und Dudeltöne der Spielautomaten erinnerten an eine Reihe fallender Münzen, das Klimpern von Geld, das die Rinne hinabfließt. Die Gänge verliefen in Rastern zwischen den Spielautomaten, deren Fronten hellrot, grün, gelb und tiefblau leuchteten. Die Geduld der wenigen nächtlichen Spieler 360
verblüffte mich – sie kamen mir vor wie Ameisen, die in dichtem Laub Blattläuse hüteten.
Angestrengt hielt ich in beide Richtungen nach Misty Ausschau, die mir mit ihrer Größe und dem schwarzen Haar bestimmt auffallen würde. Weiter hinten gab es mehrere Lokale, unter anderem einen Coffee-Shop, eine Sushi-Bar, eine Pizzeria und ein »authentisches« italienisches Bistro, das sechs Sorten Pasta und verschiedene Soßen, serviert mit einem Caesar Salad, für 2 Dollar 99 anbot. Ich entdeckte Misty in der Lounge, nachdem mein Blick zuerst an ihr vorbeigeglitten und an dem Mann hängen geblieben war, der ihr am Tisch gegenübersaß. Er war rothaarig und hager und hatte einen geröteten Teint voller Aknenarben. Weder er noch sie sahen mich. Unauffällig betrat ich die Lounge, die auf zwei Seiten offen war, setzte mich ein ganzes Stück entfernt an die Bar und beobachtete, wie die beiden sich berieten. Als der Barkeeper kam, bestellte ich mir ein Glas Chardonnay. Zu dieser späten Stunde waren nicht viele Gäste da, und ich musste befürchten aufzufallen, wenn ich so allein dasaß.
Draußen im Kasino ertönte auf einmal lautes Johlen und Grölen, und kurz darauf kam eine Gruppe von fünf Frauen herein, allesamt betrunken und in Hochstimmung. Eine schwenkte einen Eimer voller Vierteldollars, den sie bei einem Fünfhundert-Dollar-Jackpot gewonnen hatte. Ihr lärmender Auftritt behinderte zwar meine Sicht, doch andererseits boten sie mir Deckung. Misty war in eine ausführliche Diskussion mit dem Mann vertieft, wobei sie sich konzentriert vorbeugte, während sie gemeinsam etwas auf dem Tisch zwischen ihnen begutachteten. Als sie schließlich zufrieden war, reichte sie ihm einen dicken weißen Umschlag, der garantiert ein Bündel Bares enthielt. Im Gegenzug schob er das inspizierte Objekt in eine gelbe Versandtasche und reichte sie ihr, woraufhin sie es in ihre überdimensionale Handtasche steckte. Ich warf einen Fünf-Dollar-Schein neben mein leeres Glas, stand auf und verließ die 361
Bar in der Erwartung, dass Misty nun aufbrechen würde. Neben den Aufzügen blieb ich stehen und warf einen Blick in ihre Richtung, als sie an mir vorbei- und auf die Tür zuging. Ich folgte ihr.
Sie gab dem Parkwächter ihr Ticket, und während sie auf ihren Wagen wartete, huschte ich mit gesenktem Kopf und dem Rücken zu ihr links vorbei. Mein Käfer stand nahe an der Einfahrt. Zwei Minuten später kam ihr Ford angefahren, und der Parkwächter stieg aus. Sie reichte ihm ein Trinkgeld und setzte sich ans Steuer. Nachdem sie den Parkplatz verlassen hatte, folgte ich ihr, diesmal mit nur einem Wagen Abstand. Als ich mir sicher war, dass sie sich auf dem Nachhauseweg befand, bog ich rechts ab und nahm eine Parallelroute. Ich kam wenige Augenblicke vor ihr an, machte die Scheinwerfer aus und rutschte auf dem Sitz nach unten, bis ich gerade noch übers Lenkrad spähen konnte. Genau wie beim ersten Mal bog sie in
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