Ausgetanzt
den
Frühstückskellner. Absurd, wenn Berenike es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.
»Ellen, ich hab mir solche Sorgen gemacht. Was ist wirklich
passiert?«, versuchte es Berenike wieder und wieder, die Freundin zum Reden zu
bringen. Das konnte nicht gut sein, so ein Ereignis in sich hineinzufressen.
Aber Ellen wollte nicht reden. Nicht jetzt.
Irina chauffierte sie zurück in die Hauptstadt. Die Bulgarin
hatte ihre Fassung noch immer nicht wiedergewonnen. Dass so etwas passieren
hatte können, fing sie fortwährend an. Dass man sich so in Sven Gerling
getäuscht habe. Es sei ein Glück, dass er noch nicht hier zu arbeiten begonnen
habe. Sie führte ein Telefongespräch auf Bulgarisch. »My boss«, erklärte Irina.
»He’s out of his mind …!«
Ellen gab sich betont locker, wies auf die Störche in den
Reisfeldern beiderseits der Straße hin. Irina fragte, ob sie trotzdem ihr
Sightseeing-Programm in der Hauptstadt absolvieren wollten. Keine von ihnen
hatte recht Lust dazu. Doch Ablenkung würde ihnen guttun. Sven war festgenommen
worden.
Sie umrundeten also pflichtgemäß die riesige
Alexander-Newski-Kathedrale, die zum Dank für die Befreiung von der türkischen
Herrschaft errichtet worden war. Sie belächelten die Händler mit ihrem
sowjetischen Nostalgiekram.
»Life was not that bad in Bulgaria back then«, relativierte
Irina den Kommunismus, während sie ihre Besucherinnen durch die Menschenmenge
lotste. Irina war 30, zu jung, um die Details damals mitbekommen zu haben.
Berenike wollte sich auf keine Diskussion mit ihrer freundlichen Gastgeberin
einlassen.
Ganz Businesslady im grauen Hosenanzug, führte Irina sie
durch Sofia. Viele der Frauen gaben sich hier sehr feminin. Autos verstopften
die Straßen, Hitze legte sich staubig auf ihre Haut. Im Gegensatz zu Plowdiw
gab es in Sofia wenig Grün. In einem Grillrestaurant, das als schräge Mischung
aus Wild-West-Saloon und bulgarischer Folklore daherkam, aßen sie und tranken
gepanschten Wein. Egal. Ellen hielt sich nach wie vor eisern. Zu eisern.
Erst am Flughafen ging plötzlich nichts mehr.
»Doswidanje«, verabschiedete sich Irina. »Have a good journey home. Let me know when you arrived safe.
Ok?«
Als die
Bulgarin weg war, fiel Ellens Maske. Die bulgarische Polizei hatte Sven
in U-Haft genommen. Mehr wussten sie zum jetzigen Stand der Dinge nicht.
Überdreht und nervös wartete Ellen mit Berenike darauf, dass der Check-In-Schalter
öffnete. Die Anzeige meldete nur mehr wenige Starts für heute. Sie setzten sich
draußen auf eine Bank, die von Büschen und Wiesen umgeben war, eine kleine
Idylle. Ein Hund lag eingerollt vor der Ankunftshalle. Immer mehr Taxis reihten
sich in eine Schlange ein. Neuankömmlinge traten aus der Halle, der Hund stand
träge auf und trollte sich. Die Taxis fuhren eins nach dem anderen ab.
Plötzlich meinte Berenike, ihren Augen nicht zu trauen. Das
war ja Jonas! Ihr Herz klopfte, sie hatte ihn so lange nicht gesehen. Sie
blickte in Augen, die sie von Anfang an fasziniert hatten. Augen zwischen
Schwarz und Violett. Jonasblick.
»Nike …« Seit sie ihn kennengelernt hatte, wunderte sie sich
über seine Stimme. Dass ein Mann wie er so hauchen und gleichzeitig so männlich
wirken konnte. Sehnsucht machte sich in ihrem Körper breit.
Blödsinn, er wollte nichts mehr von ihr, so wie er sich die
letzten Wochen ihr gegenüber verhalten hatte. Er brauchte sich nicht zu
wundern, dass sie kratzbürstig war – so wenig, wie er selbst sich um
Verständnis für sie, für ihre Anliegen, für ihren Kampf um Gerechtigkeit für
die Toten bemüht hatte. Sie fiel in sich zusammen. Vergeblich, alles
vergeblich, und unerfüllt die Sehnsucht, bis jemand anderer kam, irgendwer,
Horst oder der Wirt vom Grünen Kakadu vielleicht, den hatte sie schon ewig
nicht gesehen. Obgleich das alles nicht zählte. Nicht wirklich.
»Nike, wie geht es dir?« Er sah sie zärtlich an.
Sie zuckte hilflos die Achseln. »Wie kann es mir schon gehen,
du weißt ja, Ellen … Sven … er hat sie attackiert.«
»Kann ich euch helfen?« Er wollte nach ihrer Reisetasche
greifen.
»Lass, wir haben noch Zeit bis zum Check-In.«
»Ach so.« Lange und intensiv sah er sie an.
»Ich weiß, es war nicht viel Zeit in den letzten Wochen. Hmhm
…«
Auch das Räuspern kannte sie bereits.
»Ich war nicht gut drauf, weißt du, der Fall hat auch mich
sehr belastet.« Er sah sie weich an. »Aber jetzt … wenn wir beide wieder in
Österreich sind, reden wir in Ruhe
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