Ausgetanzt
Außerdem vertraute
Berenike mittlerweile am liebsten auf ihre eigene Kraft und Stärke.
Mit großen Schritten ging sie weiter. Ein Käuzchen schrie.
Also musste jetzt jemand sterben, so hieß es. Blödsinn, sagte sich Berenike,
sie wollte sich die Vorfreude auf den Abend nicht durch solchen Aberglauben
verderben lassen. Und diese komische Angst besiegen, die sich in ihr
breitmachen wollte. Obwohl sie doch stark war, ihr eigenes Leben hier auf dem
Land lebte, schon seit geraumer Weile . Es hatte einer gehörigen Portion Mutes
bedurft, mit über 30 ein neues Leben im Ausseerland zu beginnen. Mut und
Erkenntnis, damals, nach ihrer großen Krise, die von dem Angriff auf ihr Leben
ausgelöst worden war. Jetzt war sie 37. Das Leben schwingt grad gut, fand sie.
Es ging aufwärts, ihr Salon lief immer besser. Sie liebte ihr Leben, liebte ihr
Lokal, in dem sie die schöne Welt des Tees hochleben ließ und wunderbare Bücher
verkaufte, die die Menschen bereichern konnten. Nur die Sache mit Jonas
bereitete ihr Kopfzerbrechen. Den ehrgeizigen Polizeiermittler hatte Berenike
letztes Jahr im Zuge eines Mordfalls kennengelernt. Sie hatte zuerst gar nicht
gewusst, dass er Polizist war. Eine aufregende Leidenschaft hatte ihren Ausgang
genommen. Doch Jonas sah ihr Verhältnis zuweilen so anders als sie. Sein Wunsch
nach einer festen Beziehung. Sie war mit ihrem lockeren Verhältnis eigentlich
sehr zufrieden. Die meiste Zeit jedenfalls. Sie waren einfach zu
unterschiedlich in vielen Dingen, als dass sich Berenike mehr vorstellen
konnte.
In der Finsternis roch der Wald noch intensiver. Eine moosige
Feuchte, die von der weichen Erde aufstieg. Ja, sie würde auch die Sache mit
Jonas angehen. Das Leben verlief eben nicht immer planmäßig.
Ein Tropfen glitt unvermutet in ihren Kragen, kalt und
unfreundlich. Bei einer Gruppe von drei Laubbäumen, einer davon hatte ein
›Auge‹, schlug sie sich in die Büsche, wie Caro es ihr erklärt hatte. Noch mehr
Nässe drang von allen Seiten auf sie ein, das war kein Wunder, so verregnet,
wie der Sommer sich dieses Jahr gebärdete. Die Äste gaben ihre feuchte Last ab,
wenn Berenikes Schulter sie streifte, und auch der Boden wirkte modrig. Die
Taschenlampe flackerte. Nicht, dass die noch ausging! Berenike krempelte die
Hose hinunter, die Nacht würde kühl werden.
Auf einer kleinen Lichtung, die sie nach Plan erreichte,
fiel ihr Blick auf das nächtliche Hallstatt. Der Ort faszinierte Berenike, seit
sie nach ihrer ›Flucht‹ aus Wien ins Salzkammergut gezogen war. In der beinahe
vollständigen Dunkelheit sah man kaum, wie sich dort unten auf engstem Raum
Holzhäuser, Kirchen und Friedhof unterhalb des steil aufragenden Salzbergs
aneinanderschmiegten. Traditionell nutzte man hier jeden Zentimeter Boden
zwischen Bergen und Seeufer. Eigentlich komisch, dass die Siedlungstradition
hier bis in die Jungsteinzeit reichte, so dunkel, wie das Dorf am Rande des
Hallstätter Sees vor allem im Winter war. Weil der Ort so knapp an die Berge
gebaut war, bekam er in der kalten Jahreszeit nur wenige Sonnenstrahlen ab.
Doch das Salz und der damit verbundene Reichtum hatten schon damals gelockt.
Die frühen Hallstattmenschen mussten ein interessantes Volk gewesen sein.
Männer und Frauen schienen die gleichen Rechte besessen und allesamt im Berg
gearbeitet zu haben, hatte Berenike gehört. Ihre Kleidung voller farbenfroher
Karomuster, wie man sie in Gräbern gefunden hatte, inspirierte zum Nachmachen …
Später waren die lutherischen Lehren hier auf fruchtbaren Boden gefallen, doch
der Salzburger Erzbischof hatte dem einen Riegel vorgeschoben. Viele sogenannte
›Landler‹ waren nach Siebenbürgen vertrieben worden. Erst das
Protestantenpatent von Kaiser Franz Josef verhalf schließlich auch den
Protestanten zu Akzeptanz, wovon die evangelische Kirche Hallstatts zeugte.
Heute standen Dachstein und inneres Salzkammergut inklusive Hallstatt unter dem
Schutz des UNESCO-Weltkulturerbes.
Jetzt aber weiter, damit sie endlich zu den anderen Frauen
stieß! Wieder ging es durch dichtes Gestrüpp. Berenike wischte sich hektisch
eine Strähne aus dem Gesicht. Dachte an die keltischen Männer, die laut Überlieferung
stolz auf ihre Haarpracht gewesen waren. Wie interessant es wäre, einen von
ihnen heute zu treffen! Das könnte Abwechslung in ihr Liebesleben bringen, das
in einem allzu aufregenden Zickzackkurs und dennoch nicht recht befriedigend
verlief. Sie legte kurz die Hand auf ihren Bauch unter dem T-Shirt.
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