Ausgetanzt
Mal
Heilpflanzen sammeln und trocknen. Gundelrebe zum Beispiel, die früher dazu
verwendet worden war, Bier zu konservieren, und bei den germanischen Völkern
gar als Zauberpflanze gegolten hatte. Jetzt zum ›Fraußendreißiger‹, wie die
Zeit zwischen Mitte August und Mitte September genannt wurde, sollten die Pflanzen
besondere Wirkung haben, nachdem sie einen Sommer lang die Sonnenenergie in
sich aufgenommen hatten.
Trotz allem nahm sich Berenike Zeit für das Abschiedsritual
von Selma und Caro, das zur herbstlichen Tagundnachtgleiche stattfinden sollte.
Die Frauen wollten sich wieder beim Hallstätter Gräberfeld treffen. Als sie aus
der letzten Seilbahn stieg, die sie hinaufgebracht hatte, genoss Berenike die
vollkommene Stille. Dann krächzte eine Bergdohle und das Leben ging weiter.
Zügig marschierte sie in ihrem Shalwar Kameez voran. Der Stoff war so grün wie
die Wiesen, so grün wie die Hoffnung. Hoffnung, dass alles geklärt und vorbei
war.
Neben dem Rudolfsturm, einem Wehrturm aus dem 13.
Jahrhundert, parkte ein grüner Wagen. Berenike stockte, aber das jadegrüne Auto
konnte ihr egal sein. Die Morde waren doch hoffentlich geklärt. Sie
konzentrierte sich lieber auf den Anblick der Wiese, wie sie im
Abendsonnenschein leuchtete. Ein vergoldetes Märchen, wenn man sich nicht vor
dem Nahen des bösen Wolfs fürchten müsste. An manchen Stellen hatte sich das
Laub schon bunt verfärbt.
Sie wollten sich unweit des Turms treffen. Es war zwar nicht
Wintersonnenwende, ein Zeitpunkt, wo die Sonne auf diesen Platz schien.
Trotzdem hatte Helena den Ort gewählt, weil er als uralter Kultplatz galt.
»Dem Kiritag in Alt Aussee weichen wir lieber großräumig
aus«, hatte Helena gemeint. Und froh war Berenike, den Ort während des
dreitägigen Kiritags mit seinen ausgelassenen Menschenmassen und dem Bierzelt
zu verlassen. Diesmal hatte sie Drachenbrunnentee mitgebracht, einen besonders
edlen grünen Tee aus China, der dort sogar als Geschenk Staatsgästen überreicht
wurde.
Diesmal fanden sie einander ohne Schwierigkeiten am
vereinbarten Treffpunkt. Gerhild, Ellen und Katharina waren schon da. Valerie
traf gemeinsam mit Berenike ein. Sie erklärte eben, dass Denise sich gemeldet
habe.
»Sie ist abgereist und ihr werdet kaum glauben, warum! Selma
hat sie zu sehr angeflirtet, hat sie gesagt. Das war Denise zu doof.«
»Geh, was ist denn schon dabei.«
Nur Rita fehlte weiterhin. »Hast du sie erreicht?«, fragte
Berenike Valerie, »ihr seid doch ein wenig befreundet.«
Aber die Schweizerin schüttelte verneinend den Kopf. »Ich hab
ihr auch nur auf den Anrufbeantworter gesprochen.«
Ratloses Murmeln rundum. Niemand hatte etwas gehört,
Besorgnis zeigte sich in den Gesichtern. Berenike wählte noch einmal Ritas
Nummer, aber niemand hob ab.
Amélie hatte sich heraufbringen lassen, noch etwas
angeschlagen, doch ihre Gesundung machte Fortschritte, nur ein kleiner Verband
zierte noch ihren Kopf. Zuversichtlich, aber etwas still blickte sie in die
Runde. Hoffentlich würde sie sich bald daran erinnern, wer sie so zugerichtet
hatte. Noch schützte eine Amnesie sie vor der Erinnerung an dieses grauenhafte
Erlebnis.
Selbst Ragnhild hatte überraschend Zeit gefunden. Mara Wander
war ebenfalls eingeladen, die Polizistin wollte, wenn überhaupt, später zu
ihnen stoßen. Dafür waren die beiden Detektivinnen Peri und Sieglinde schon da,
erhitzt nach der Wanderung herauf.
Schatten fielen über das Hochtal, lösten die Sonne ab,
brachten Düsternis. Helena entzündete die mitgebrachten Fackeln und rammte sie
in die Erde neben dem bereits entfachten Lagerfeuer. Sie setzten sich auf die
im Kreis ausgebreiteten Decken.
Berenike bereitete den Tee vor. Sie spülte die Kanne mit
heißem Wasser aus, ebenso die Tassen. Dann gab sie etwas von den großen,
länglichen Teeblättern in die Kanne. Sie reichte die kleinen Schalen herum und
schenkte ein. Leise wie eine zarte Quelle plätscherte der Tee in die Tassen.
Jetzt bestürmten die Frauen Berenike und Ellen mit ihren Fragen.
»Erzählt, bitte, was war los?«
»Du hast Ellen gerettet, hab ich gehört! Ellen, was sagst
du?«
Ellen verhielt sich merkwürdig still. Sah nur zu Berenike.
»Soll ich erzählen?«, fragte die. Ellen nickte. Also
berichtete Berenike von der Reise in dieses schöne, grüne Land. Über Ellen
erzählte sie nur das Wichtigste, dass sie mit knapper Not einer Geiselnahme im
Lift entkommen war, durch ihren eigenen Mann Sven.
»Wie geht es dir jetzt?«
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