Ausgetanzt
nicht
losgelassen, nie hat er mich losgelassen. Vors Konservatorium – du kennst doch
die Johannesgasse in Wien? – hat er auf den Boden ein riesiges Herz mit unseren
Namen gemalt. Dafür hat er sogar Strafe zahlen müssen, weil ihn die Polizei
erwischt hat. Wir haben auf dem See geheiratet, in Hallstatt. Dann wurde ich
schnell schwanger. Mein Studium ging den Bach runter. Aber das war ok, damals.
Ich war so verliebt.«
»Ellen, ich versteh dich. So gut. Dass du trauerst …«
»Nichts verstehst du. Ich entwickle mich weiter, während Sven
nichts für seinen Geist tut. Seit ich mich ändere, spielt er verrückt. Er will,
dass alles gleich bleibt. Ich mache so viel, Tanzen und Bildhauern und eine
Ausbildung für Aufstellungsarbeit, kennst du das? Phänomenal, ich bin auf so
viel draufgekommen … Diese Muster, sie kommen aus unseren Familien. Meine Eltern,
seine Familie, das aufzustellen, hat mir so viel gebracht.«
Berenike ließ Ellen reden.
»Es hat mir klargemacht, dass ich immer die gleiche Rolle
hab. Sven hat sein Leben lang seinen Eltern gefallen wollen. Du müsstest ihn
sehen, wenn sie dabei sind. Wie er lacht, nachdem sie ihn gerade noch beleidigt
haben. Er macht sich gleich wieder Hoffnungen. Dass sie ihn jetzt gut
behandeln. Aber für die Gerlings ist alles Spiel. Du würdest schaudern über
ihre Kälte. Svens Geschwister leben wie die Eltern. Svens Schwester Isolde hat
sich mit über 40 ein Kind eingebildet. Ein süßes Mäderl, die kleine Sofie, und
schon Kinderdarstellerin.« Ellen schnaufte, trank gierig vom bestellten Wasser.
»Und deine Kinder, Ellen? Wie alt sind sie?«
»Pia ist 20 und Kai 21. Zum Glück zeigen beide keine
Schauspielambitionen. Auch Sven nicht. Mir hat das nichts gemacht, es muss
nicht jeder berühmt werden. Ich war so glücklich mit ihm. Erst die letzten
Jahre hat er sich zu seinem Nachteil verändert. Er geht boxen, was für ein komischer
Sport ist das denn? Magst du das Boxen, Berenike?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Und dann die Geschichten in seiner Firma. Sie haben ihn
dermaßen unter Druck gesetzt. Sie behandeln ihn so mies bei Koromar. Es war
alles zu viel für ihn. Seit der Laden verkauft worden ist, zählt nur mehr Cash
Flow. Ab dem Tag ging’s bergab. Obwohl sie immer sagen, es geht bergauf.
Bergauf. Es geht bergauf! Ab jetzt geht es bergauf!«, äffte Ellen die Manager
nach, »so lautet die Parole. Ich kotze, wenn ich sowas nur höre. « Ellen hielt
sich den Magen. Ausgerechnet jetzt kam die Stewardess, bot Essen an, das sie
dankend ablehnten. Keine von ihnen hatte Hunger.
»Irgendwie … weißt du, Berenike, irgendwie kann ich
verstehen, dass er auszuckt.«
»Sven, meinst du?«
»Ja. Das muss ein irrsinniger Druck sein …«
»Ellen, er hätte dich beinahe getötet.«
»Ja.« Ellens Hand mit der Wasserflasche zitterte fast
unmerklich. »Er hat gesagt, ein Küchenmesser würde besser zu mir passen als das
Bildhauerwerkzeug. Ich war mir nicht sicher, wie er’s meint. Sollte ich
Hausfrau bleiben? Oder wollte er mich wirklich töten? Er wollte mich dazu
bringen, auf mein Studium zu verzichten. Ihm zu versprechen, dass ich zu Hause
in Hallstatt bleibe. Bei ihm. Er hat mich so lieb gestreichelt. Ellen, hat er
gesagt, so wie früher, weißt du. Wir fliegen nach Hause, hat er in mein Haar
gemurmelt, und bleiben zusammen. Immer diese Worte. Wir bleiben zusammen, nur
wir zwei.« Eine Träne kroch in Ellens Augenwinkel, sie wollte sie
zurückzwingen, wegzwinkern. »Wir lassen niemanden zwischen uns. So wie früher,
Ellen. So hat er geredet.« Sie fuhr sich übers Gesicht, verwischte
Wimperntusche und Lidschatten mit den nun fließenden Tränen. »Aber daneben
hatte ich immer das Messer vor Augen, diese scharfe Klinge. Wenige Zentimeter
vor meinen Augen.« Ein tiefes Seufzen, das die ganze Welt einschloss. Ellen
ließ den Kopf auf Berenikes Schulter sinken.
»Ellen, hast du nichts geahnt?«
»Wovon?«, nuschelte Svens Frau in Berenikes Pullover und hob
den Kopf. »Dass er ein Mörder sein soll?«
»Ja.«
»Nein. Ich habe nichts bemerkt. Aber vielleicht war ich zu
sehr mit mir selbst beschäftigt.«
Von einem Moment zum anderen war Ellen eingeschlafen.
Ausgetanzt – Epilog
Drachenbrunnentee
Berenike war zurück. Im Ausseerland. Back in
good old Austria. Noch einmal zeigte die Herbstsonne ihre ganze Kraft. Die
Menschen nützten das schöne Wetter für Wanderungen, machten dabei gern
Zwischenstopps in Berenikes Salon auf einen Tee und Literatur. Ein letztes
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