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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Zannoner
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sie die peinliche Situation entkrampfen? »Kein Problem«, brachte sie heraus, mehr fiel ihr nicht ein.
    »Ich habe dir Kekse gemacht.« Ihre Mutter hatte sich wieder gefangen. »Wie versprochen. Möchtest du einen heißen Kakao dazu?«
    »Kein Problem«, wiederholte Viola, wie eine hängen gebliebene Schallplatte. Sie legte die Medaille auf den Tisch, während Patricia ein Tablett mit Keksen danebenstellte. Ein riesiger Berg, sie musste den ganzen Tag gebacken haben.
    »Es sind vielleicht ein paar zu viel«, meinte ihre Mutter, mit dem Blick und dem Tonfall von früher.
    Viola reagierte vorsichtig: »Vielleicht ein paar.«
    Wer weiß, ob Patricia überhaupt klar war, was sie gesagt hatte. Viola blickte in ihr verhärmtes Gesicht, sah die glanzlosen Haare, die herausgewachsene Farbe. Es wurde wirklich Zeit, dass diese menschliche Tragödie ein Ende hatte, es waren immerhin Monate vergangen. Viola waren sie wie ein ganzes Leben vorgekommen, im Frühjahr war ihr Vater gegangen und jetzt war Ende November. Das Schuljahr war zu Ende gegangen, sie hatte die Sommerferien zum großen Teil in dieser drückend heißen, stickigen Wohnung zugebracht, die Schule hatte wieder begonnen und ihre Mutter lag immer nur auf dem Sofa, starrte auf den Fernseher und rauchte. »Ein Albtraum«, hatte sie anfangs gedacht, doch es war nur einer dieser Ausdrücke gewesen, die Viola seit ihrer Kindheit mit sich herumtrug. Aber das Leben ihrer Mutter war tatsächlich zu einem albtraumhaften Zustand geworden. Wer weiß, ob sie ihr aus den Fugen geratenes Dasein jemals wieder unter Kontrolle bringen würde. Viola beschloss ihr Mut zu machen, während sie in einen Keks biss.
    »Einfach perfekt«, lobte sie, wobei der Ton vielleicht ein wenig aufgesetzt und zu enthusiastisch klang. Sie versuchte es noch einmal: »Ganz ehrlich, sie schmecken super.«
    Patricia nickte: »Es ist lange her, dass ich sie das letzte Mal gemacht habe.« Schon verfinsterte sich ihr Gesicht wieder und Viola überlegte fieberhaft, wie sie ihre Mutter ablenken könnte. »Du hast es nicht verlernt, das ist wie Fahrrad fahren.« Wieder so ein Satz von früher über Dinge, die man nie wieder verlernte. Aber Patricia schien es gar nicht zu hören, wie geistesabwesend stützte sie sich auf das Waschbecken und suchte nach einem Päckchen Zigaretten in der Tasche ihres Morgenmantels. Mit zwei Fingern zog sie eine ziemlich zerdrückte Zigarette heraus, strich sie glatt und steckte sie sich an. Dann schien sie sich an etwas Wichtiges zu erinnern. »Ach ja, Selina hat angerufen.«
    »Ja? Was wollte sie?«
    Patricia zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, sie schien ziemlich aufgeregt zu sein.«
    Viola stand sofort auf, griff nach dem Telefon und verfluchte zum x-ten Mal die Tatsache, dass sie kein eigenes Handy hatte. Sie könnte sich von ihrem Vater ein Handy zu Weihnachten wünschen, er würde ihr bestimmt eins schenken. Wer weiß, was Selina wollte, wahrscheinlich war sie neugierig, wie es gelaufen war oder hatte irgendeine Neuigkeit, die sie unbedingt loswerden wollte und die sie mit den Worten einleiten würde: »Halt dich fest.«
    »Endlich bist du zu Hause!« Sie klang ungeduldig, wie erwartet.
    »Ja, ich habe gewonnen!«
    »Ach, stimmt ja, der Lauf!« Selina schien ihn völlig vergessen zu haben. Viola spürte, wie sie wütend wurde. Wie konnte sie so etwas Wichtiges vergessen, gerade sie, ihre beste Freundin? Doch Selina ließ ihr keine Zeit zu einer Antwort, hastig fuhr sie fort: »Entschuldige, aber es ist etwas Schreckliches passiert. Ich wollte es deiner Mutter lieber nicht erzählen, wer weiß, wie sie reagiert hätte, du hast doch gemeint, sie wäre depressiv.«
    »Was ist denn los?« Viola konnte sich nicht vorstellen, dass es wirklich etwas Schlimmes war, eher die üblichen Selina-Katastrophen: Die Katze war verschwunden, ihre Mutter verbot ihr, sich die Beine zu enthaaren, ihre Schwester hatte ihr Tagebuch gelesen, der Nachbar wollte, dass sie die Musik leiser dreht …
    »Es geht um Leo«, unterbrach die Freundin ihre Gedankenspiele. Danach sagte sie eine Weile nichts, was seltsam für sie war. Viola war jetzt doch gespannt und fragte in die ungewöhnliche Stille hinein: »Der Leo aus unserer Klasse?«
    »Genau der. Er hatte einen Unfall mit seinem Roller. Sie haben ihn ins Krankenhaus gebracht und … Ihm geht es richtig schlecht, verstehst du? Daniele hat es mir erzählt, er hatte Leo erst auf dem Handy und dann zu Hause angerufen und da war nur eine Tante, die

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