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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Zannoner
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nicht. Der Mann legte ihm eine Hand auf die Brust, als wollte er ihn zurückhalten. »Streng dich nicht an. Ich schwöre, du bist durch die Luft geflogen. Ich hatte Angst, dass noch Schlimmeres passiert ist, ich dachte mir, der ist tot.«
    Jetzt hörte Leo die Sirene eines näher kommenden Krankenwagens. Der ohrenbetäubende Lärm übertönte alle anderen Geräusche, auch die Stimmen schienen verstummt zu sein. Dann hörte das Sirenengeheul auf und einen Moment lang herrschte gespenstische Stille. Das Gesicht des Mannes verschwand, dafür tauchten zwei neue Gesichter auf, eine Frau und ein Mann, die ihm sagten, dass er ruhig bleiben sollte, sie würden ihn in den Krankenwagen bringen. Die Frau erklärte Leo, dass sie Ärztin sei, und als wollte sie das auch beweisen, fühlte sie ihm den Puls. Als sie sein Herz abhörte, bemerkte er, dass sie leise mit jemandem sprach, das musste der Mann von eben sein, der ihr die Geschichte von seinem Unfall erzählte. Satzfetzen drangen an sein Ohr: »Ein unglaublicher Sturz, er wurde durch die Luft geschleudert … mit dem Rücken auf dem Bürgersteig aufgeschlagen … «
    Eine männliche Stimme sagte zu Leo, sie würden ihn jetzt auf die Trage heben. Er spürte, wie etwas unter seinen Rücken geschoben wurde, dann rollte er nach vorne, der graue Himmel über ihm verschwand und wurde von der weißen Decke des Krankenwagens abgelöst. Leo hörte, wie die Türen geschlossen wurden, er hörte die Sirene, die wieder zu heulen begonnen hatte, auch wenn alle Geräusche nur gedämpft zu ihm durchdrangen, weil ihm noch niemand den Helm abgenommen hatte, alles schien wie in Watte gepackt. War das Realität? Oder doch nur ein Traum? Einer dieser Träume, in denen man nur Gesichter, aber keine Körper sah; Stimmen hörte, aber nicht erkannte, wer sprach; sich bewegte, aber den Boden nicht unter den Füßen spürte; fiel, aber nirgendwo aufkam. Alles schien ihm ganz weit weg, er konnte derjenige sein, der fiel, aber auch derjenige, der ihn fallen sah. Er schrie, aber aus seinem Mund kam kein Geräusch.
    Leo kniff die Augen zusammen. Vielleicht träumte er wirklich nur und kaum hätte er die Augen wieder geöffnet, läge er zu Hause in seinem Bett, auch wenn sicher ein großer Teil des Tages fehlen würde, die Zeit zwischen Spielende und Einschlafen. Er war vom Stadion weggefahren, hatte ungefähr die Hälfte der Strecke zurückgelegt und war nie zu Hause angekommen. Er musste tatsächlich gestürzt sein und auf dem Asphalt gelegen haben, aber den Rest hatte er sich vielleicht nur eingebildet. Doch dann öffnete er die Augen wieder und ihm wurde klar, dass es diese Realität wirklich gab, den Krankenwagen, die Sirene. Auch seine Benommenheit gab es wirklich und möglicherweise würde er gleich einschlafen und davon träumen, zu Hause angekommen zu sein.
    Jemand hatte ihm die Handschuhe ausgezogen, er spürte den Stoff der Trage. Jemand hatte ihm die Jacke aufgemacht und ein Stethoskop an die Brust gesetzt, wie er es aus Filmen kannte. Aber niemand hatte ihm den Helm abgenommen. Sonderbar. Seine Arme waren schwer, seine Schultern, sogar der Oberkörper, er hatte das Gefühl, in der Trage zu versinken. Aber er spürte seine Füße nicht, seine Knie, nicht einmal das Knie, das er sich beim Spiel aufgeschürft hatte. Er spürte seine Oberschenkel nicht, sie schienen ganz leicht. Alles da unten schien ausgeschaltet. Komisch, denn er wusste doch, wie schmerzhaft auch nur ein verrenkter Fuß war.
    Sie mussten ihm etwas gegen die Schmerzen gegeben haben, eine Spritze, wie im Film, ein Schmerzmittel, vielleicht ein Narkotikum. Deshalb kam Leo auch alles wie in Zeitlupe vor, das Wichtigste hatte er noch gar nicht sagen können: Seine Eltern mussten informiert werden. Wo war eigentlich sein Handy? Vielleicht war es beim Sturz kaputtgegangen, aber genau in diesem Moment klingelte es. Es musste Enrico sein, Leo erkannte den Klingelton, den er für seine Nummer eingestellt hatte. Der Türkische Marsch von Mozart, weil diese Musik für ihn die Eile seines Vaters verkörperte, wenn dieser ihn anrief. Die Ärztin antwortete an seiner Stelle, mit ruhiger Stimme erklärte sie, dass Leo einen Unfall gehabt hatte und er in die Notaufnahme der Unfallklinik gebracht würde. Leo fragte sich, warum man ihn ausgerechnet dorthin brachte, vielleicht hatte er sich ein Bein gebrochen, ohne es bemerkt zu haben. Oder den Schädel, vielleicht hielt nur der Helm ihn noch zusammen. Sonderbarerweise hatte er keine Angst, als

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