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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Zannoner
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hätte das, was da gerade geschah, gar nichts mit ihm zu tun, sondern mit jemandem, von dem Leo träumte.



Nach zehn Tagen
    Dieser englische Typ singt, dass er gern nur fühlen würde, I just wanna feel . Liebe spüren, das Gefühl haben, zu leben. Du hast dir die Kopfhörer aufgesetzt, die Augen sind geschlossen. Es gibt nichts außer dieser Musik in deinem Kopf, diese Stimme, die schreit, dass sie nur fühlen will, und du schreist auch, tief in dir drin, dass du nur fühlen willst, I just wanna feel real love.
    Die CD ist ein Geschenk von Sandra. Sie hat »I miss you« auf die Hülle geschrieben, und als du das gelesen hast, war auf einmal vergessen, dass du nichts mehr von ihr wissen wolltest. Im Gegenteil. Du wolltest sie sehen und in die Arme nehmen. Du hast versucht, dich an ihre guten Seiten zu erinnern. An ihr Lächeln, an ihr Lachen. Ihr idiotisches Klein-Mädchen-Gehabe und ihr Jammerstimmchen hast du einfach ausgeblendet. Alle Bilder, die dir nicht gefielen, hast du beiseitegeschoben, wie deine Mutter, die nach jedem Urlaub die Fotos, die ihr hässlich vorkommen, einfach zerreißt. Du hattest nur noch die schönen Bilder im Kopf und dachtest daran, was du doch für ein Feigling gewesen bist, bei dem Telefongespräch vor zwei Wochen. Man sagt jemandem nicht einfach am Telefon, dass man genug von ihm hat und ihn nicht mehr sehen will. Aber auch dieses Telefonat gehörte zu jenem verhassten Tag, an dem alles schiefgegangen war, zu diesem Tag voller Kälte, Nässe, Dunkelheit und schlechter Laune. Es war kurz nach dem verkorksten Spiel gewesen und kurz vor dem Unfall.
    I just wanna feel, was hast du damals gefühlt? Deine Augen hatten ins kalte, grelle Krankenhauslicht und auf die grünlich gestrichene Decke gestarrt. Schließlich hatten sie dir doch noch den Helm abgenommen und dein Kopf war nicht aufgeplatzt gewesen wie eine Melone, so wie du es befürchtet hattest. Sie haben unzählige Röntgenaufnahmen gemacht und du hast gedacht, sie wollten dein gesamtes Skelett durchleuchten, die Fotos vergrößern und einen Kalender daraus machen.
    DannhabensiedichineinZimmermitweißerDeckegebracht,diedirausirgendeinemGrundzumGreifennahvorkam.DieBettwäschewarrauundfest,soalswäresieganzneu.Rau,festundeinbisschenkalt.Dumagstlieberalte,zerknautschteBettwäsche,dieschonseiteinerWocheinGebrauchist,indermansichwieineinemgemütlichenNestundnichtwieineinemHotelzimmerfühlt.ZuHauseschimpftdeineMutterimmer,dassdudeinBettöfterneubeziehensollst,schließlichistdasnichtihreAufgabe.Amschönstenistes,wenndieBettdeckezusammengeknülltundaufdemLakennochderAbdruckdeinesKörperszusehenist,wenndasKopfkissenzerwühltist,alsobamMorgeneinKampfstattgefundenhätteunddudichnurmitMüheausderUmklammerungdesBetteshättestlösenkönnen.AbendsmusstdudannnurdasKisseneinbisschenaufschütteln,dieDeckeglatt streichenunddichhineinkuscheln,diezerknüllteBettwäscheistweichundgemütlich,nichtwiediefaltenfreiehierimKrankenhaus,vondermanmeinenkönnte,siewäreausKarton.
    Deine Arme waren bleischwer und du hattest das Gefühl körperlos zu sein, dich nicht bewegen zu können, innerlich leer, wie einer der Schläuche, die sie über dir aufgehängt hatten. Das Deckenlicht war viel zu grell und dein Mund war ausgetrocknet. Nach einer gefühlten Ewigkeit hast du die Stimme deiner Mutter gehört, die deine Hand nahm: »Leo, Leo, mein Schatz.«
    I just wanna feel. Ihre Stimme. Sie hat sich bemüht, nicht zu weinen, das konnte man hören, verzweifelt hat sie versucht, das Schluchzen zu unterdrücken, das in ihr aufstieg und ihr das Herz abdrückte. Und statt zu weinen, hat sie auf einmal gelacht, man stelle sich das vor. Sie hat erzählt, dein Vater hätte auf dem Weg zum Krankenhaus so neben sich gestanden, dass sie zweimal von der Straße abgekommen und fast im Graben gelandet sind. Dein apathisch wirkender Vater saß neben ihr, hat aber kein Wort herausbekommen, du hattest ihn am Anfang gar nicht bemerkt, sondern erst, als er in dein Sichtfeld kam. Als du in sein wie versteinert wirkendes Gesicht blicktest, hast du leise gesagt: »Es tut mir leid.«
    Er runzelte die Stirn. »Es ist alles in Ordnung, alles wird gut.«
    Deine Mutter ließ ihn nicht ausreden: »Bist du verrückt, Leo? Was tut dir leid? Das fehlte gerade noch, dass du dir Vorwürfe machst. So etwas passiert eben, es war ein Unfall.« Sie hat wieder deine Hand gedrückt.
    »Und der Roller?«, hast du gefragt, als dir siedend heiß einfiel, dass du gar nicht wusstest, was damit passiert war.
    »Du

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