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Ausgewechselt

Ausgewechselt

Titel: Ausgewechselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paola Zannoner
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auf seinen kleinen Bruder aufgepasst hat … « Selina erzählte weiter haarklein, wie sie es erfahren hatte, aber nicht was. Viola hakte ein: »Was ist denn passiert?«
    »Die Tante hat am Telefon geweint, sie wusste auch nichts Genaueres. Sie hat gesagt, dass er einen schrecklichen Unfall hatte und ins Krankenhaus gebracht wurde.«
    Viola sah Leo vor sich, wie er mit zornverzerrtem Gesicht auf seinem Motorroller saß. Die wütende Geste, mit der er sich den Helm aufgesetzt hatte, nachdem er ihr gesagt hatte, sie solle den Mund halten. Leo aus ihrer Klasse, der nie die richtigen Antworten wusste, der keine Hausaufgaben machte, weil er Fußball spielte. Der, den alle Mädchen in der Klasse toll fanden, außer ihr. Es war genau dieser Leo, von dem sie sprachen, ohne jedoch zu wissen, was wirklich geschehen war. Das Wort »schrecklich« waberte durch den Äther hin und her, bis es schließlich im Raum stehen blieb, wie ein intensiver, lang anhaltender Geruch.

Der Unfall
    Leo lag auf dem Rücken. Er öffnete die Augen und blickte auf eine dunkelgraue Plane. Alles war so schnell gegangen, dass er gar nicht genau wusste, wie es passiert war. War er beim Bremsen oder beim Beschleunigen ins Schleudern gekommen? Er hatte gespürt, wie ihm der Roller weggerutscht war und dann hatte er auch schon auf dem Asphalt gelegen. Ein Schlag, der dumpfe Au fprall seines Körpers auf dem Bürgersteig. Er hatte die Augen geöffnet, als er dort lag, und die graue Stoffplane über sich geseh en, von der er jetzt wusste, dass es der Himmel war. Es ist nichts passiert, dachte Leo, nur ein schlimmer Sturz, er hörte aufgeregte Stimmen, aber er lebte und es ging ihm gut, er konnte die Augen bewegen und den Kopf, auch wenn sich der ehrlich gesagt ziemlich schwer anfühlte. Das musste an dem Helm liegen, der mindestens eine halbe Tonne zu wiegen schien.
    »Fasst ihn nicht an, nicht bewegen«, ordnete jemand an. Leo versuchte seinen Körper aufzurichten, um dieser Kommandostimme zu sagen, dass es keinen Grund zur Aufregung gäbe, dass es ihm gut ging. Da sein Kopf aber zu schwer war, hob er kurz die Hand.
    »Ganz ruhig«, befahl die Stimme, »wir haben den Krankenwagen gerufen, es ist alles in Ordnung, sie kommen sofort.« In Leos Gesichtsfeld tauchte ein rundes Gesicht auf, ein Mann mit schütterem Haar, ungefähr so alt wie sein Vater. Der Ausdruck war besorgt, auf der Stirn hatte sich eine tiefe Falte eingegraben. Wahrscheinlich ein Arzt oder ein Sanitäter, er schien sich jedenfalls auszukennen. Neben ihm tauchten andere Gesichter auf, gleichfalls ernst und besorgt. Leo versuchte erneut die Hand zu heben.
    »Mir geht es gut.« Die Worte kamen nur mühsam, aber er sprach, also war er am Leben.
    »Ja, aber beweg dich trotzdem nicht, vielleicht hast du dir etwas gebrochen. Wir warten auf den Krankenwagen.«
    Den Krankenwagen? Allein das Wort machte Leo Angst, deshalb presste er rasch heraus: »Nein, wirklich, es geht mir gut.« Dabei ging es ihm nicht gut, nicht wirklich zumindest, er konnte nicht einmal so laut sprechen, wie er wollte. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihn, die Kälte des Asphalts kroch durch seine Jacke und ließ ihn erzittern. Schlagartig wurde ihm klar, dass etwas nicht stimmte.
    »Ich spüre meine Beine nicht.«
    Der Mann runzelte die Stirn, die vertikale Falte wurde tiefer, sie reichte jetzt von der Nase bis zur Mitte der Stirn.
    »Es wird alles gut. Wie heißt du?«
    »Leo. Sind Sie Arzt?«
    Der Mann schüttelte den Kopf, die Stirn wurde glatter, als ob er lächeln würde, aber sein Mund blieb ernst: »Was sagst du da? Nein, ich arbeite in der Bar gegenüber. Ich habe gesehen, wie du durch die Luft geflogen bist.«
    Leo hatte keine große Lust sich zu unterhalten, aber vielleicht würde es ihn ablenken und er würde sich besser fühlen, könnte aufstehen und nach Hause gehen. Deshalb fragte er mit unsicherer Stimme: »War Öl auf der Straße oder so? Der Roller ist mir weggerutscht.«
    »Nein, es war nur nass, aber dieser feine Kies auf dem Asphalt ist tückisch, noch schlimmer als Glatteis. Man muss hier besonders vorsichtig fahren. Kennst du die Straße nicht?«
    »Nein, oder doch, ja. Ich nehme immer diese Abkürzung.«
    »Aber normalerweise ist viel mehr Verkehr, heute war es ruhig. Du bist bestimmt zu schnell gefahren.«
    Unterdessen versuchte Leo wieder aufzustehen, er wollte sich auf die Seite rollen, weil er sich hilflos fühlte, wenn er so auf dem Rücken lag. Aber so wie es aussah, gehorchte ihm sein Körper

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