Ausgeweidet (German Edition)
schaut den jungen Kollegen Christian an.
»Ich habe mich kurz mit ihm unterhalten. Seiner Meinung nach war es fürchterlich, was dort abgegangen ist und wie wenig relevante Hilfe das Rechtssystem in diesem Fall bietet. Er ist fest davon überzeugt, dass Briest schuldig ist. Aber er hatte nicht die geringste Handhabe, ihn zu verurteilen.« Er hustet kurz auf. »Die Akten konnte ich mir noch nicht genau ansehen, dazu fehlte mir die Zeit.«
»Bitte kopiere die Akten dreimal: für mich, für Maria und für Hendrik. Jeder von uns sollte sie durchlesen. Ich denke, damit sind wir erst mal fertig, oder?«
Fast alle sind gegangen, nur Christian steht herum, als wenn er noch etwas loswerden will.
»Gibt es noch etwas?«, fragt Clemens irritiert, der kurz noch mit Maria gesprochen hat.
»Ich bin etwas nervös. Bei meiner Frau kann es jederzeit losgehen.«
»Ich dachte, erst in drei Wochen?«, fragt Maria besorgt nach.
»Na ja«, Christian kratzt sich verlegen am Kopf, »die Ärzte gehen davon aus, dass der Nachwuchs früher den Weg in die große weite Welt plant. Und ich mache mir halt Sorgen.«
Clemens, der seinen Kollegen sehr schätzt, versucht, ihn zu beruhigen. »Das klappt schon, du bist ja jederzeit auf dem Handy erreichbar. Und wenn es so weit ist, dann werden wir schon jemanden finden, der deinen Part übernimmt.« Es ist sowieso erstaunlich, wie Christian das alles hinbekommt, denn mit seinen knapp dreißig Jahren ist er schon Vater von zwei süßen Mädchen, und nun kommt das dritte.
8.
Sonntagvormittag Polizeipräsidium. Pünktlich erscheint Senta Hartmann im Polizeipräsidium zur Vernehmung. Der Tod ihres Ex-Ehemannes und die weiteren Umstände haben ihr arg zugesetzt. Das dezent aufgetragene Make-up kann weder die Augenringe noch die Blässe verdecken. Clemens bittet sie und Maria in sein Büro, setzt sich an den Schreibtisch und überlässt Maria und Senta Hartmann die zwei Besucherstühle, den angebotenen Kaffee lehnt sie ab. Er kommt ohne Umschweife direkt zur Sache.
»Frau Hartmann, Sie wissen ja, dass Ihr Alibi ziemlich wackelt. Was haben Sie von sechzehn Uhr bis zu Ihrer Abfahrt zum Petit Salon gemacht?«
»Das habe ich Ihnen doch schon gesagt: Gerichtsverhandlung, Spaziergang mit dem Hund, Essen zubereitet und noch eine, eineinhalb Stunden auf dem Bett gelegen, um zu entspannen. Dann habe ich mir einen Tee gemacht und bin langsam aufgebrochen.«
»Kann das jemand bezeugen?«, fragt Maria.
»Niemand. Ich war allein.«
»Hat Sie auch beim Spaziergang niemand gesehen?« Maria bleibt hartnäckig.
»Nicht dass ich wüsste.«
»Keine Telefonate?«, mischt Clemens sich ein.
»Nein, ich bin froh, wenn ich vor einer Vorstellung meine Ruhe habe. Aber Moment«, die Befragte überlegt kurz, »ja genau, um kurz nach sechzehn Uhr hat mich mein Freund aus der Klinik angerufen.«
»Wer ist Ihr Freund?«, hakt Maria nach.
»Dr. Lamberty. Er ist Oberarzt im St.-Vinzenz-Krankenhaus .«
Maria macht sich Notizen, und Clemens übernimmt.
»Was wissen Sie über den Vater Ihres Ex-Mannes? Ist Ihnen bekannt, dass Claude Briest im Gefängnis gesessen hat und weshalb?«
»Ja, das ist mir bekannt. Mein Ex-Mann hat sehr darunter gelitten, dass sein Vater wegen sexuellen Missbrauchs an Schülern verurteilt worden ist.«
»Halten Sie es für möglich, dass auch Ihr Ex-Mann durch seinen Vater missbraucht wurde?«
»Ja, könnte gut sein, aber mit Gewissheit kann ich das nicht sagen. Er selbst hat nie darüber gesprochen. Ich weiß aber, dass Herr Briest im Hause meiner Schwägerin Hausverbot hatte, irgendwas muss da vorgefallen sein mit einem Neffen von Jacques.«
»In der Wohnung Ihres Mannes haben wir einen Ordner mit Fotos gefunden.« Maria schiebt Senta Hartmann den Ordner hinüber. Diese blättert mit starrer Miene durch die Seiten, stockt, blättert weiter. Langsam laufen ihr Tränen über die Wangen.
»Kennen Sie eines der Kinder?«, fragt Maria.
»Ja.« Frau Hartmann zeigt auf drei Fotos.
»Das ist meine, also unsere Tochter Marie.« Sie zieht ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und trocknet sich das Gesicht.
»Und hier, die zwei, das sind die Kinder meiner besten Freundin. Die Fotos müssen bei uns im Garten gemacht worden sein.« Die Aufnahmen zeigen zwei Mädchen von ungefähr zwei und vier Jahren, die unbekleidet auf einer Schaukel sitzen. Die Perspektive der Aufnahmen ist auf die Geschlechtsteile gerichtet.
»Wer ist Ihre Freundin?«, will Clemens wissen.
»Jutta Schmittmann. Sie wohnt mit
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