Ausgeweidet (German Edition)
ihrer Familie nicht weit von mir.«
»Glauben Sie, er hat sich an den Kindern Ihrer Freundin vergangen?«, fragt Maria vorsichtig.
»Nein, das denke ich nicht, die beiden sind völlig unauffällig.«
»Halten Sie es für möglich, dass er sich an anderen Kindern vergangen hat?« Wieder bleibt Maria dran.
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Wer könnte Ihrer Meinung nach ein Motiv gehabt haben, Ihren Mann umzubringen?« Die Frage kommt von Clemens, der den Eindruck hat, dass Frau Hartmann etwas verschweigt.
»Ich weiß es nicht, dazu kann ich nichts sagen.«
»Anders gefragt: Hatte Ihr Ex-Mann Feinde?« Er versucht es nochmals.
»Na ja, ein großer Sympathieträger war er nicht gerade. Aber Feinde, das glaube ich nicht.«
»Hat Ihr Freund heute Dienst?«, will Maria wissen.
»Ja, bis zum späten Nachmittag.« Clemens sucht Augenkontakt zu Maria, die beiden verständigen sich kurz.
»Gut, das war es jetzt fürs Erste. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Senta Hartmann steht langsam auf und schaut die beiden an. »Das habe ich nicht gewusst«, flüstert sie, »ich habe vieles gewusst, aber das nicht. Was passiert mit den Fotos?«
»Sie kommen zu den Akten, dort sind sie sicher.«
Schweigend reicht sie Clemens und Maria die Hand.
»Ich begleite Sie.«
Maria kennt diese Angewohnheit ihres Kollegen. Denn es geht nicht nur darum, dass die Etagen des Polizeipräsidiums gleich aufgebaut sind und sich Fremde schon oft verlaufen haben. Clemens hängt auch der Theorie an, dass die Menschen, wenn die Anspannung etwas nachlässt, den einen oder anderen Hinweis geben. So auch jetzt. Auf dem Weg zum Aufzug dreht sich die Sängerin zu ihm um.
»Da fällt mir doch noch etwas ein. Am Samstag hatte ich eine E-Mail im Postfach, sie war von Freitag. Der Vater eines missbrauchten Mädchens hat mir geschrieben, er habe das Verfahren meiner Tochter verfolgt. Und er äußert sein Mitgefühl darüber, dass der Angeklagte freigesprochen worden ist. Seine Tochter hat sich vor ein paar Monaten das Leben genommen. Sinngemäß schreibt er: ›Hätte man das Schwein gefunden, das dies meiner Tochter angetan hat, ich hätte ihn umgebracht.‹«
»Es wäre gut, wenn Sie uns die E-Mail sofort weiterleiten könnten.«
Clemens kramt einen Notizzettel hervor und kritzelt die E-Mail-Adresse von Hendrik darauf.
»Hier, bitte an diese Adresse. Und vielen Dank.«
Kaum haben sich die Türen des Aufzugs geschlossen, atmet der Hauptkommissar tief durch. Dann geht er zu Hendrik, dessen Büro auf der gleichen Etage liegt. Es ist das genaue Gegenteil seines in der Regel gut aufgeräumten Arbeitszimmers: etwas chaotisch, durcheinander, irgendwie gemütlich, jedenfalls wenn man sich nicht den ganzen Tag dort aufhalten muss.
»Hallo, Senta Hartmann war eben hier und hat von einer E-Mail berichtet, die sie bekommen hat. Sie leitet die Nachricht an dich weiter. Mach mir bitte einen Ausdruck und versuch mal, den Absender herauszufinden. Könnte was Wichtiges sein.«
Schon kommen Christian auf der Heide und Maria, in den Händen die obligatorischen Kaffeetassen, in Flemmings Büro. Sie alle mögen die lockere Atmosphäre, daher geht es hier meist zu wie im Taubenschlag. Was auch damit zu tun hat, dass Flemming für die Koordination der eingehenden Informationen zuständig ist, die Kommunikationszentrale für alle. Obwohl Hendrik zu den Menschen gehört, die sich ausgezeichnet konzentrieren können, wird es ihm dann doch manchmal zu viel, wenn er gerade an einer kniffligen Recherche sitzt und die anderen munter durcheinanderreden. In solchen Fällen setzt er einfach seine Kopfhörer auf, ein deutliches Zeichen für die Kollegen, ihre Lautstärke zu drosseln.
Christian hat Neues zu berichten. Er hat die Gerichtsakten kurz überflogen und eine vorläufige Liste der Personen erstellt, die in irgendeiner Weise mit dem Verfahren zu tun gehabt haben. Diese Namen hat er mit den registrierten Personen mit Jagdschein aus Düsseldorf und Umgebung abgeglichen. Es gibt tatsächlich eine Übereinstimmung: Erika Wagner. Sie ist eine Freundin von Senta Hartmann und hat im Prozess ausgesagt.
»Interessant«, murmelt Clemens vor sich hin.
»Kannst du mehr über diese Erika Wagner in Erfahrung bringen?«, bittet er Flemming, dann wendet er sich Maria zu.
»Diese Frau schauen wir uns morgen mal an.«
9.
Sonntag später Vormittag auf dem Weg zum St.-Vinzenz-Krankenhaus . Clemens öffnet die Beifahrertür seines Porsches. Kaum hat sich Maria in den tiefen Schalensitz fallen
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