Ausgeweidet (German Edition)
verärgert heraus. Mit knallrotem Kopf steht der Hauptkommissar vor ihr und senkt verlegen den Blick, da die Bluse der Oberstaatsanwältin deutliche Kaffeespuren aufweist und sich leicht die Konturen ihrer Brüste abzeichnen. Schnell reicht er ihr sein Stofftaschentuch und bückt sich, um die Akten aufzusammeln. Maria, die gerade auf die beiden zusteuert, rettet die Situation.
»Ich habe noch ein frisches T-Shirt in meiner Sporttasche. Vielleicht können Sie das überziehen?«
Pia Cremer hat sich mittlerweile wieder gefangen, doch ihr Gesicht drückt unzweideutig Missbehagen aus.
In Clemens’ Büro warten schon Schoeller, Christian auf der Heide und Flemming. »Wie siehst du denn aus?«, kann sich der Kriminaltechniker nicht verkneifen. Die drei schmunzeln, denn sie kennen die Eitelkeit ihres Kollegen nur zu gut. Clemens winkt unwirsch und geht zu einem seiner Schränke. Dort im obersten Fach liegen ständig frische Hemden, die farblich alle zu seinen anthrazitfarbenen Anzügen passen. Er greift sich das oberste, zieht das alte Hemd aus und das neue über. Kaum hat er die Hemdzipfel in die Hose gestopft, erscheinen schon Pia Cremer und Maria in der Tür. Es ist nicht zu fassen, aber selbst in einem einfachen T-Shirt sieht die Oberstaatsanwältin großartig aus.
Schnell fasst Clemens die wichtigsten Erkenntnisse der Morgenbesprechung für Pia Cremer und die erst später eingetroffenen Kollegen zusammen, dann schaut er gespannt zu Schoeller hinüber, der auf Christian auf der Heide zeigt. Der reagiert umgehend.
»Die Wohnung von Briest besteht aus einem großen Zimmer mit Kochnische und einem angeschlossenen kleineren Raum, der als Schlafzimmer dient; alles ausgesprochen gepflegt, wenn auch etwas abgegriffen. Lediglich eine grandiose CD-Sammlung mit klassischer Musik, eine Musikanlage der Superlative und ein hochwertiger Flügel sind auffällig. In den Schränken und im Schreibtisch kaum Unterlagen, weder persönliche noch berufliche, auch steuerrelevante Ordner sind nicht auffindbar. Keine Bücher in den Regalen, lediglich im Flur standen zwei große Kartons mit Büchern. Keine Bilder an den Wänden. Die Wohnung macht den Eindruck, als ob er gerade erst eingezogen ist oder dabei war, sie zu verlassen. Briest lebte dort allein, nichts wurde gefunden, was auf Besuche in jüngster Zeit hindeutet. Die Befragung der Nachbarn und des Hausbesitzers, der auch dort wohnt, hat nichts Relevantes erbracht. Es heißt, er sei ein ruhiger, höflicher Mieter, der am späten Nachmittag bei jedem Wetter joggte und selten zu Hause war. Besuch hat niemand gesehen. Was er den ganzen Tag gemacht hat – eine Anstellung oder ein Engagement hatte er ja nicht –, wissen wir noch nicht. Doch jetzt kommt der Knaller.« Auf der Heide wird sichtlich aufgeregt. »Der Vermieter und Hausbesitzer, Otto Kleinhans, schon weit über achtzig Jahre, hatte in dieser Anliegerwohnung seinerzeit sein Architekturbüro und erzählte uns von einem Safe, den er damals einbauen ließ. Total verrückte Stelle, also mach uns keinen Vorwurf, dass wir den nicht selbst gefunden haben. Wenn du den Spülkasten an der Toilette abnimmst, siehst du dahinter eine Klappe, hinter der sich der Safe befindet. Mit dem Toilettenkasten davor wirklich weder zu sehen noch zu ertasten. Gerade mal so groß, dass ein, zwei größere Sachen darin Platz finden. Kleinhans hatte Briest seinerzeit bei der Wohnungsbesichtigung darauf aufmerksam gemacht. Und wir wurden fündig: Der Safe enthielt zwei Ordner, einen mit Zeitungsausschnitten und Briefen und einen mit Fotos von Kindern, sie sind teilweise nackt. Die Identität der Kinder auf den Fotos haben wir noch nicht feststellen können.«
Hendrik Flemming meldet sich zu Wort. »Ich habe mir den Ordner mit den Zeitungsausschnitten gestern Nacht noch näher angesehen und den Computer bemüht. Die folgende Info kommt unter Vorbehalt, sie muss noch genauer recherchiert werden, und ich möchte die Kollegen in Brüssel anfragen. Also: Der Vater von Jacques Briest war Musiklehrer und wohl ein brillanter Musiker. Er saß mehrere Jahre im Gefängnis, weil ihm drei Vergehen an Schülern nachgewiesen wurden. Eindeutig Pädophilie. Daraufhin zerbrach die Familie. Jacques kam auf ein Internat für musisch Hochbegabte. Der Vater starb vor zwei Jahren an Prostatakrebs. Es sieht so aus, als wenn er auch seinen Sohn über Jahre missbraucht hätte.«
»Was sagt der Richter, der das Missbrauchsverfahren gegen Jacques Briest geführt hat?« Clemens
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