Ausgeweidet (German Edition)
Doch Dr. Hummel lässt sich in seinen Überlegungen nicht irritieren.
»Für die Definition des Todeszeitpunktes schon, aber für die Überprüfung der Alibis müssen wir leider doch noch etwas Zeit dazugeben. Der Täter musste erst einmal in den Wald gelangen, und das Aufbrechen hat bestimmt vierzig bis fünfzig Minuten gedauert. Das bedeutet, mit einer Zeitspanne von sechzehn bis neunzehn Uhr sind Sie auf der sicheren Seite.«
Clemens überlegt kurz, doch der plötzlich aufgetauchte Gedanke ist schon wieder weg. Also wendet er sich der Wand mit den Zetteln und Fotos vom Tatort zu. Abrupt dreht er sich um, sodass die anderen aufmerken. »Armin, wie schätzt du die Spuren am Tatort ein? Hat der Mörder einfach nur Glück gehabt wegen des Unwetters oder war das ein Profi?«
»Was verstehst du unter Profi – einen Killer?«, fragt Schoel-ler verwundert.
»Nein, einfach jemanden, der Ahnung hat.« Clemens drückt sich bewusst vage aus, um Schoeller nicht zu beeinflussen. Der streicht sich über seine Bartstoppeln.
»Ohne Regenguss wäre es für uns weniger mühsam. Aber du hast recht, er hat nicht nur Glück gehabt. Ich schätze, wir haben es mit jemandem zu tun, der etwas genauer weiß, wie man Spuren vermeidet. Dass wir keine DNA-Spuren finden konnten, liegt am starken Regen, aber wir haben noch nicht einmal Faserspuren gefunden, und das gibt mir zu denken.«
Clemens nickt Schoeller zu. »Und was hat die Durchsuchung bei Briest erbracht?«
»Auf der Heide kommt gleich, dann können wir das in kleiner Runde besprechen.« Er blickt zu Dr. Hummel hinüber, der seine Tasche schon unter den Arm geklemmt hat.
Mönnekes, der wie gewohnt unruhig wirkt, hebt die Hand. Clemens kommt ihm zuvor.
»Herr Mönnekes, wo wir jetzt alle derzeitigen Ergebnisse zusammenhaben, kommen wir zu Ihnen. Was machen wir mit den Journalisten?«
»Die haben mir den ganzen Samstag zugesetzt. Deswegen sollten wir heute auf jeden Fall eine Presseerklärung rausgeben.«
»Nein«, weist der Hauptkommissar den Vorschlag zurück, »wir gehen erst mal zu Kreutz und bringen ihn auf den aktuellen Stand. Dann halten Sie mit dem Kriminalrat nach Absprache mit der Oberstaatsanwältin eine Pressekonferenz ab. Nichts über die laufenden Ermittlungen, nur wer der Tote ist, dass wir noch ganz am Anfang stehen und in alle Richtungen ermitteln, dass er erschossen wurde und wir eine Hotline einrichten, um Hinweise aus der Bevölkerung entgegenzunehmen. Dass der Tote Jacques Briest ist, wird sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Die Frage, ob es einen Zusammenhang mit dem Missbrauchsprozess gibt, wird garantiert kommen. Lassen Sie sich da nicht ins Bockshorn jagen. Noch ist alles offen.«
Mönnekes nickt erleichtert, auch wenn es ihn wurmt, dass er mit seinem Vorschlag der Presseerklärung Clemens wieder einmal eine wunderbare Steilvorlage dafür geboten hat, dass der ihm sagen kann, was er zu tun hat.
Und damit wendet sich Clemens dem gesamten Team zu und schaut sie nacheinander an. »Wir müssen mehr über Briest erfahren, was er so den ganzen Tag getrieben hat. Am besten stellt ihr ein, zwei Leute fürs Telefon ab und gebt eine spezielle E-Mail-Adresse an, die auf Hendriks Rechner landet. Ich könnte mir vorstellen, dass es da einige gibt, die Briest nichts Gutes wünschten.«
Clemens fährt mit den Fingern durch seine dunklen Locken und überlegt, was noch zu tun ist.
»Maria, wir müssen Kontakt mit der ARGE aufnehmen. Vielleicht erfahren wir dadurch mehr über Briests Situation.«
Maria, die gerade mit Hendrik eine Liste von Jägern durchsieht, gibt ihm ein Zeichen, dass sie verstanden hat.
»Und ganz wichtig, den Strafverteidiger von Briest befragen. Der müsste doch einiges über seinen Mandanten wissen, oder?«
Zufrieden zieht Clemens die Bürotür von Otto Kreutz hinter sich zu. Die Pressekonferenz ist für morgen, also Montag, angesetzt. Heute wird Mönnekes die Presse auf die juristischen Konsequenzen aufmerksam machen, sollten sie Bilder von Senta Hartmann vor ihrem Haus veröffentlichen. Und für den Hauptkommissar besonders erfreulich: Der Kriminalrat hat ihm Verstärkung durch zwei Kommissaranwärter zugesagt. Mit Schwung eilt er den Gang entlang zu seinem Büro. Viel zu spät sieht er die Oberstaatsanwältin, die gerade um die Ecke biegt. Obwohl er noch abbremst, spürt er bereits den heißen Kaffee, der sich über sein Hemd ergießt, und sieht einen Stapel Papiere in Zeitlupe zu Boden segeln.
»Mist«, rutscht es Pia Cremer sichtlich
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