Ausgeweidet (German Edition)
sodass sie mindestens die doppelte Strecke läuft. Doch heute wird sie nach zehn Minuten unruhig, läuft plötzlich los, kommt nicht zurück und kläfft sich die Seele aus dem Leib.
Als sie auf Noltes Rufe nicht reagiert, folgt er leicht verärgert dem Gekläffe und sieht seinen Terrier in einer Mulde nicht weit vom Wegesrand aufgeregt zappeln. Nolte kann erkennen, dass in der Mulde etwas liegt, vielleicht ein totes oder krankes Tier, aber sicher ist er sich nicht. Also klettert er den Abhang hinunter. Auf dem aufgeweichten Boden kommt er ins Rutschen und landet ziemlich unsanft. Dann sieht er das, was seinen Hund so aufregt. Ein nackter Mensch liegt auf der Seite.
Axel Nolte rappelt sich entsetzt auf und schaut sich die Gestalt dann vorsichtig näher an. Ein Schwarm von Insekten hat sich auf der Leiche niedergelassen und umschwärmt, kaum ist er nahe genug, auch seinen Kopf. Ein unangenehmer Geruch steigt ihm in die Nase. Angewidert wendet er sich ab, versucht, die Fliegen mit den Händen zu vertreiben, und herrscht seinen Hund an, der sofort kommt. »Los jetzt!«, gibt er Ronja das Kommando und zeigt nach oben in Richtung Waldweg. Der Terrier prescht los. Nolte folgt ihm, rutscht aber immer wieder aus, stolpert und erreicht schließlich fluchend und verdreckt den Weg. Viel hat er nicht gesehen im noch herrschenden Zwielicht, schließlich ist November, aber es hat ihm gereicht. Ihm wird schlecht, er würgt, und ihm bricht kalter Schweiß aus. Mit weichen Knien stolpert er zu einem Holzstumpf und setzt sich. Krampfhaft hält er Ronja am Halsband fest, die wieder die Böschung hinunter will. Er schaut sich um, kein Mensch weit und breit. Mit zitternden Fingern holt er sein Handy aus der Jackentasche und drückt die Notruftaste.
4.
Samstagmorgen Hafen. Endlich ein freier Samstag. Clemens von Bühlow, Hauptkommissar des KK11 der Düsseldorfer Mordkommission, steht, noch nicht ganz wach, mit einem Becher Milchkaffee in der Hand vor dem großen Fenster seines Appartements und blickt auf den Innenhafen. Er genießt die Aussicht und überlegt gerade, auf was er an diesem Wochenende Lust hat. In den letzten Wochen hat er mit seinem Team rund um die Uhr gearbeitet, um den Mord an einem stadtbekannten Dealer aufzuklären. Ein guter Erfolg für alle. Als das Telefon klingelt, ist er irritiert, wer so früh etwas von ihm will.
»Von Bühlow. Hallo?«
Sein Chef, Kriminalrat Otto Kreutz, Leiter des Düsseldorfer Morddezernats, meldet sich.
»Ich weiß, du hast ein freies Wochenende und keine Bereitschaft, aber wir haben einen Mord, bei dem ich dich dabeihaben will. Das ganze Team der Bereitschaft ist schon da. Doch für auf der Heide ist das eine Nummer zu groß, der hat noch nicht so viel Erfahrung. Er selbst hat mich gebeten, dich hinzuzuziehen. Wir brauchen dich am Tatort. Bring bitte die Esser mit.«
Clemens ist alles andere als begeistert, sagt aber zu. Er hätte die zwei freien Tage dringend für sich gebraucht, um sich zu entspannen und mal wieder etwas anderes zu sehen als das Polizeipräsidium und seine Kollegen. Obwohl er seinen Beruf liebt, macht es ihm zu schaffen, dass sein Privatleben kaum noch existiert. Als er noch nicht bei der Mordkommission war, hatte er Zeit, seine Freundschaften zu pflegen, und nun kann er kaum noch am Leben der Freunde teilnehmen.
Er geht ins Bad, lässt sich kaltes Wasser über Kopf und Nacken laufen, bis sich alles taub anfühlt. Die morgendliche Benommenheit ist wie weggeblasen, und während er sich die Haare trocken rubbelt, greift er schon zum Telefon und ruft Hauptkommissarin Maria Esser an.
»Hey, kein ruhiger Samstag im Bett, ich hol dich in fünfzehn Minuten ab. Und zieh dir was Nettes an, es geht in den Grafenberger Wald.«
»Schon klar, für dich schicke ich alle meine Liebhaber nach Hause und werfe mich ins kleine Schwarze. Bis gleich.«
Clemens muss grinsen über den Spruch seiner Kollegin. Sie verstehen sich gut, was der Erfolgsquote zugutekommt und nicht immer so selbstverständlich ist, wenn man den anderen so zuhört. Aus dem Kleiderschrank greift er sich T-Shirt, Rollkragenpulli und Boxershorts und nimmt eine schwarze Jeans und ein braunes Wollsakko vom Bügel. Dass ihm keine Zeit für eine Dusche bleibt, ist ihm mehr als unangenehm. Clemens liebt es, gepflegt zu sein, daher auch seine Leidenschaft für maßgeschneiderte Anzüge. Als stilbewusster Mensch schätzt er die schönen Seiten des Lebens wie schmackhaftes Essen, einen guten Wein, die Kunst und
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