Ausgeweidet (German Edition)
Schönes.«
»Ja, den meinen wir«, schaltet sich Senta Hartmann ein. »Er hat sich nichts zuschulden kommen lassen, aber Sie haben recht, seine ganze Ausstrahlung ist merkwürdig.«
»Mittlerweile hat er bei uns den Spitznamen ›Der Blasse‹. Er ist nicht nur von seiner Gesichtsfarbe her blass, die ganze Persönlichkeit ist farblos. Er wirkt schüchtern und unbeholfen, doch zugleich ist er, wie soll ich das sagen«, Pascal überlegt und sucht nach den treffenden Worten, »stur, uneinsichtig. Dieter, unser Beleuchter, hat ihn schon mehrmals gebeten, nicht zu fotografieren, aber das interessiert ihn nicht.«
»Obwohl er schon oft hier war, redet er mit niemandem, grüßt auch nicht«, wirft Senta ein.
»Ist er noch da?«, fragt Maria und sieht sich um.
»Nein, er geht immer gleich nach der letzten Zugabe.«
»Kommt das bei Ihren Gästen oft vor?«, will Clemens wissen.
»Das ist ganz unterschiedlich. Viele Gäste, die nur selten kommen, gehen zumeist auch direkt nach der Vorstellung. Anders sieht es bei den Besuchern aus, die regelmäßig unsere Gäste sind, die gehen noch an die Bar für einen Drink.«
»Wissen Sie, wer er ist?«, fragt Maria.
»Nein, er hat sich mir nie vorgestellt. Ich hatte aber auch nicht das Bedürfnis, ihn näher kennenzulernen.«
»Und wie unterschreibt er seine Briefe?«
»Mit ›Ihr glühendster Verehrer!‹«
»Ist morgen wieder ein Liederabend?« Maria wendet sich an Senta, die bestätigend nickt.
»Wird er kommen?«
»Könnte schon sein, bisher hat er keinen Liederabend ausgelassen, glaube ich.«
»Wir sind morgen wieder da, und bitte, das Gespräch bleibt unter uns«, schärft Maria Senta Hartmann und Pascal Schmitz ein.
Diesmal nehmen sie die Außentreppe. Als sie die kühle Luft auf ihren Gesichtern spüren, bleiben beide kurz stehen.
»Ganz schön verqualmt da drin«, bemerkt Maria.
»Ja, aber nicht mehr lange, dann wird wohl auch hier das Rauchverbot greifen«, seufzt Clemens.
»Das wird aber auch Zeit.«
»Nun mach mal halblang. Jeder kann sich frei entscheiden, ob er sich dem Qualm aussetzen will oder nicht«, kontert Clemens.
Maria setzt schon an, kann aber gerade noch ihre Gegenargumente zurückhalten. Wenn Clemens ignorant argumentiert, dann nicht, weil er unreflektiert ist. Er weiß selbst, dass es so einfach nicht ist. Vielmehr bahnt sich in solchen Situationen ein jugendlicher Trotz seinen Weg.
Kurz nachdem Clemens den Porsche gestartet hat, fragt Maria: »Eine Spur, oder?«
»Vielleicht. Der Zufall könnte uns ja auch einmal helfen.« Maria horcht auf. Diese Niedergeschlagenheit kennt sie an Clemens nicht. Ungeduldig, manchmal frustriert, das kommt bei ihm öfter vor, aber diese bedrückte Stimmung hat sie noch nicht erlebt. Er greift in die Brusttasche seines Hemdes, holt eine Zigarette aus der Packung und zündet sie an. Maria wedelt den Rauch von sich weg. Clemens entschuldigt sich und kurbelt das Fahrerfenster ein Stück weit herunter.
»Ich komme mir wie ein Jäger vor, der im dichtesten Nebel durch den Wald irrt und die Orientierung verloren hat.«
»Schönes Bild. Aber der Nebel verzieht sich auch irgendwann.«
»Ja, irgendwann.«
Nach drei tiefen Zügen hat sich Clemens wieder gefangen. »Irgendwie kommt mir dieser Mann bekannt vor. Ich konnte ihn nicht gut sehen in dem diffusen Licht. Blass, untersetzt und kräftig. Ist er dir nicht aufgefallen?«
»Nein, dummerweise nicht.«
23.
Sonntag Morgenbesprechung Polizeipräsidium. »Wieder die gleichen Schuhabdrücke. Diesmal scheint unser Mörder aber etwas nachlässiger gewesen zu sein, oder wir haben einfach nur Glück, weil es nicht geregnet hat. Wir haben unvollständige Fingerabdrücke, schwer zu rekonstruieren, aber immerhin. Er hat OP-Handschuhe getragen, doch durch die dünne Gummischicht lassen sich Fragmente der Fingerabdrücke erkennen. Beim Tatort im Grafenberger Wald hatten wir durch den sintflutartigen Regen keine Chance, jetzt schon.«
»Wo habt ihr die Fingerabdrücke gefunden?«, unterbricht Clemens den Vortrag von Schoeller.
»Fragmente von Fingerabdrücken«, korrigiert der Kriminaltechniker. »Und da brauchen wir noch etwas Zeit, um diese zu rekonstruieren.«
Clemens ist ungeduldig, und Schoeller nimmt mal wieder den Kampf mit seiner Lesebrille auf, die auf die Nasenspitze gerutscht ist.
»Um deine Frage zu beantworten. Die Fragmente der Fingerabdrücke haben wir am Geländer gefunden, das die Stufen zur Kaiserpfalz absichert, und an einigen Basaltquadern der Ruine.
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