Ausgewichtelt
Speicher lagern die Getreidevorräte und die Säcke mit den fertigen Geschenken, aber im alten Speicher liegt nur Werkzeug. Machen wir uns also an die Arbeit.«
Noch am selben Tag räumten sie den alten Speicher. Dann putzte Oiva ihn gründlich, schrubbte auch die Wände und sah nach, ob der alte Dachbelag aus Baumrinde noch wasserfest war. Alle verfügbaren Spanschachteln, Körbe und Tröge wurden herbeigetragen und in bequeme Betten für die Tierpatienten umgewandelt. Eine Handvoll Wollgras in einer kleinen Tasse ergab genau das richtige Lager für kleine Mäuse, und in der alten Sommermütze des Weihnachtsmannes würde ein krankes Eichhörnchen Platz finden. Für den Fuchskorb brauchte man eine ganze Menge Bartflechte, und gleich neben der Tür stand ein mit duftendem trockenen Moos gepolsterter Spankorb für noch größere Tiere bereit.
In den nächsten Tagen füllten sich Schachteln, Körbe und Tröge. Oiva und der Krähe machte es Freude, pflegebedürftige Tiere einzuladen. Alle kamen gern, denn es gab nur eine einzige Regel.
»Herzlich willkommen«, begrüßte Oiva seine Gäste. »Ihr dürft euch hier ausruhen, solange ihr wollt, allerdings unter einer Bedingung: Keiner darf die anderen stören. Hier müsst ihr euch vertragen.«
Und so vereinbarten die Tiere, Frieden zu halten. Selbst die Füchse ließen die Hasen in Ruhe und die Eulen die Mäuse.
»Keiner darf den anderen auch nur berühren, ohne um Erlaubnis zu bitten«, erklärte Oiva, und alle Gäste nickten zustimmend.
Ganz ohne Probleme ging es allerdings nicht ab. Oiva selbst hatte die Angewohnheit, seine Pfleglinge zu streicheln, und glaubte, das gefiele allen. So kam es, dass er selbst diese Regel vergaß.
Die Tür zur Pflegestube war immer offen, und die Tiere konnten kommen und gehen, wie sie wollten. Wenn Oiva morgens zu ihnen ging, entdeckte er oft frische Spuren im Schnee. Die große Schachtel neben der Tür war leer, aber noch warm. Irgendwer hatte dort geschlafen. Jemand, der nicht gesehen werden wollte.
Eines Morgens, als das blaue Zwielicht, das erste Zeichen für den Tagesanbruch, gerade erst dämmerte, sah Oiva ein flauschiges weißes Tier aus der Pflegestube huschen. Es hatte ein wenig Ähnlichkeit mit einem Fuchs, war jedoch runder und hatte ein schneeweißes Fell. Ein Polarfuchs! Oivas Herz schlug Purzelbäume. Er hatte sich immer gewünscht, einmal einen Polarfuchs pflegen zu dürfen, dieses herrliche Tier. Ach, wenn er es doch streicheln könnte! Wie weich sich das Fell anfühlen würde, wie flauschig und seidig!
Doch dieser Polarfuchs schien so wild zu sein wie alle seine Verwandten. Allem Anschein nach ließen Polarfüchse sich einfach nicht zähmen. Oiva hatte es schon oft versucht, aber Polarfüchse ließen sich immer nur von Weitem blicken, wenn sie flink über ein Fjell oder an einer Heide entlangliefen, und sie kamen nie, ganz egal, wie liebevoll man sie rief.
»Kiti-kiti, süßes weißes Moppelchen. Komm zum Wichtel, kiti-kiti-kiti!«
So hatte Oiva nach ihnen gerufen, aber sie sahen ihn mit ihren pechschwarzen Augen nur kurz an, drehten ihm verächtlich den Rücken zu und sprangen geschmeidig davon.
Oiva hatte Hasen und Uhus pflegen dürfen, Mäuse und Maulwürfe, Bären, Wölfe und auch Füchse, aber noch keinen einzigen Polarfuchs. Vielleicht ist es jetzt endlich so weit, dachte er und nahm sich vor, am nächsten Morgen so früh aufzustehen, dass er den geheimnisvollen Gast zu Gesicht bekam, bevor er wieder verschwand.
Am nächsten Morgen war es noch ganz dunkel, als Oiva zur Pflegestube schlich und vorsichtig die Tür aufzog. Sie knarrte, und durch den Spalt drang kalte Luft herein. Oiva hörte ein leises Winseln und schlüpfte rasch hinein. Dann hielt er vor Freude die Luft an. Tatsächlich, in der großen Spanschachtel neben der Tür schlief der herrlichste, weißeste und schönste Polarfuchs, den man sich nur vorstellen konnte. Er war rund und flauschig und sah zahm und anschmiegsam aus. Das Tier schlief fest, und sein Fell strahlte im Halbdunkel ein ganz eigenartiges Licht aus. Oiva juckte es in den Fingern; das buschige, leuchtend weiße Fell zog ihn magisch an. Die schwarze Schnauze des Polarfuchses war fast ganz unter seinem Schwanz verborgen, und seine Atemzüge ließen die längsten Fellhaare hin und her wehen. Oiva streckte die Finger aus und berührte vorsichtig den Rücken des Polarfuchses. Die längsten Fellhaare waren leicht wie Luft. Der Wichtel sah zwar, dass sie von seinen Fingern nach unten
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